Kinder bekommen: ja, nein, vielleicht?

Kinderwunsch
Die Sache mit dem Kinderkriegen

Veröffentlicht am 29.06.2018
Die Sache mit dem Kinderkriegen
Foto: Bogdan Sonjachnyj / Shutterstock.com

Mit Ende 20 geht es los (spätestens mit Mitte 30). Sie sind vielleicht verheiratet, vielleicht auch nur schon länger mit Ihrem Partner zusammen – da hört die Fragerei nicht mehr auf, jeder (also wirklich jeder) will wissen: "Und, sind denn schon Kinder geplant?“ Dass diese Entscheidung absolut persönlich ist und niemanden außer Sie selbst und Ihren Partner angeht, wird einfach ignoriert. Die Konsequenz: Immer mehr Frauen fühlen sich unter Druck gesetzt, Kinder zu kriegen. Diesen Druck spürt auch Bloggerin Jana Wind, die diesem Gefühl des Hin-und-her-gerissen-Seins auf ihrem Blog Ausdruck verleiht. Wir haben mit ihr und der Autorin Sarah Diehl über Emanzipation, Kinderwunsch und Konventionen gesprochen.

Kinderlos (un)glücklich?

"Ich liebe meine Freiheiten und die Möglichkeit der Spontaneität. Ich verreise gerne, gebe mein Geld gerne für Quatsch aus, gehe abends gerne spontan etwas trinken. Ich genieße unser Leben zu zweit, das einfach mal auf uns zukommen lassen, das unvernünftig sein. Wieso versucht mir die Gesellschaft ständig einreden zu wollen, dass mir noch ein Baby zu meinem Glück fehlt? Und wieso kommt in mir fast schon ein Pflichtgefühl auf, dass ich ein Kind bekommen muss, um den Erwartungen der anderen gerecht zu werden? Das ist mein Leben. Meine eigene, kurze Zeitspanne auf dieser Welt und ob ich mein Leben dazu nutzen möchte, ein weiteres Leben heranzuziehen, sollte doch meine Entscheidung sein", schreibt Jana auf ihrem Blog. Dass der Post ihr meist gelesener Beitrag werden würde, hätte sie niemals gedacht.

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Die kinderlose Frau als gesellschaftliches Schreckgespenst

Unter den Kommentaren sind viele positive Stimmen, aber auch deutlich negative: "Ich habe extrem viel Zuspruch bekommen. Sowohl von Müttern, die mit Stereotypen zu kämpfen haben, als auch von Frauen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden und sich von ihrem Umfeld stark unter Druck gesetzt fühlen. Allerdings gab es auch einige Kommentare von Frauen, die sich durch meinen Post anscheinend stark angegriffen gefühlt haben – und mich fast beleidigt haben.

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Einer anderen Meinung zu sein, ist eine Sache, aber meine Gedanken, Sorgen und Zweifel zu so einem persönlichen Thema als schlecht zu bezeichnen, hat mich schon getroffen", sagt die 29-Jährige Jana Wind. Mit der Frage, "wie und warum unsere Gesellschaft aus der Kinderlosigkeit von Frauen ein solches Schreckgespenst aufbaut", beschäftigt sich die Autorin, Kulturwissenschaftlerin und Filmemacherin Sarah Diehl. Für ihr Buch "Die Uhr, die nicht tickt“, hat sie viele freiwillig kinderlose Frauen zum Thema interviewt. Ihre These: "Menschen ohne Kinder fehlt nichts, sie sind weder glücklicher noch unglücklicher, sie setzen einfach andere Prioritäten."

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Kind und Karriere? Zwischen Powerfrau und Überforderung

Die Gründe, sich gegen Kinder zu entscheiden, sind vielfältig. Manchmal geschieht diese Entscheidung aus freien Stücken, weil andere Prioritäten gesetzt werden, manchmal besteht schlicht kein Kinderwunsch und manchmal haben Frauen keine Wahl. Sarah Diehl sieht auch eine nicht zu erfüllende Erwartungshaltung an Frauen als möglichen Grund: "Frauen wird heutzutage ein 'You can have it all'-Versprechen gemacht, das die Belastung, den Druck, auch das noch hinzubekommen noch erhöht."

Dabei sieht es realistisch gesehen ganz anders aus: "Kinder vertragen sich schlecht mit dem herrschenden Anspruch an Flexibilität und Mobilität in der Arbeitswelt, und mit dem Rollenverständnis, das nach wie vor Frauen benachteiligt und eine Dreifachbelastung aus Erwerbstätigkeit, Kinderbetreuung und Haushaltsführung vorsieht." Auch die einseitige Darstellung der Medien trägt zum 'schlechten Ruf' kinderloser Frauen bei: Oft werden Frauen, die Karriere und Kinder unter einen Hut bekommen als Powerfrauen und seltene Ausnahmen glorifiziert und kinderlose Frauen werden als alte Jungfern oder egoistische Hedonistinnen überzeichnet. "In den Medien gibt es kaum positive Vorbilder kinderloser Frauen, die über vierzig sind. Stattdessen wird das Bild der verhärmten Karrierefrau bedient, die ihre Entscheidung bitter bereut, wenn es zu spät ist", beobachtet Diehl.

Das "Mutter, Vater, Kind"-Klischee ist eine längst überholte Rollenverteilung

"Ein weiterer Grund für die Verunsicherung ist die Tatsache, dass Mutterschaft noch immer ein elementarer Bestandteil dessen ist, was Weiblichkeit angeblich ausmacht", erklärt die Autorin. Das gesellschaftliche Ideal-Modell von Familie besteht noch immer aus einem Mann, der für das Geld sorgt, einer Frau, die sich um Kinder und Haushalt kümmert und eben den Kindern. Bezeichnend für diese stereotypen Rollenklischees ist auch, dass kinderlose Männer kaum in der Kritik stehen und sich selten rechtfertigen müssen. "Das Image der kinderlosen Frau ist miserabel und überfrachtet mit unzähligen Klischees", weiß Sarah Diehl.

Beim Mann sieht es ganz anders aus: "Er hatte nie ein Image, höchstens das des einsamen Wolfs, den es zu zähmen gilt." Auch Jana Wind spürt den Unterschied zwischen den Geschlechtern: "Ich glaube, so sehr wir Frauen uns unsere Rolle in der Gesellschaft neu erkämpft haben, so viele Unterschiede gibt es noch immer, nicht nur hinsichtlich Bezahlung und Führungspositionen. Es wird Müttern von der Gesellschaft einfach nicht leicht gemacht, Job und Familie zu vereinen und es ist wohl noch ein weiter Weg, bis man so etwas wie Gleichberechtigung erreicht hat. Niemand sollte sich mit seinen Sorgen alleine fühlen, nur weil sie nicht dem gesellschaftlichen Soll entsprechen."

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Zwischen Mutterglück und Tokophobie

Einer offenen Diskussion würde es sicherlich schon helfen, ehrlich über die Themen Schwangerschaft und Kinderwunsch zu reden. Oft sieht und liest man, dass Mütter von der Geburt ihrer Kinder als schönste Erfahrung ihres Lebens sprechen. Natürlich können Kinder das Gefühl puren Glücks auslösen, aber die eigenen Kinder dürfen einem auch mal auf die Nerven gehen oder sogar unglücklich machen. So ist es auch mit der Schwangerschaft: "Weder Schwangerschaft noch Geburt wird von allen Frauen ausnahmslos als wundervoll und lebensbejahend erlebt. Sie verändern den ganzen Körper und die Wahrnehmung des Selbst, sie sind unglaublich anstrengend und können einen an die eigenen Grenzen bringen", sagt Diehl.

Doch über diese negativen Seiten spricht niemand, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Und so ist es auch kein Wunder, dass Frauen mit der Kinderplanung unsicher sind, Zweifel haben oder sogar Angst vor dem Kinderkriegen bekommen (in krankhaften Fällen spricht man dabei von Tokophobie).

Tabus brechen und sachliche Diskussionen führen

In einer modernen, aufgeschlossenen Gesellschaft sollte sachlich über alles gesprochen werden können. Dass es schwer ist, einem so emotionalen Thema wie der Kinderplanung mit Sachlichkeit und annähender Neutralität zu begegnen, ist klar. Trotzdem sollte man es versuchen. An dieser offenen Kommunikation scheitert es noch: Mütter trauen sich kaum, die weniger schönen Seiten am Kinderkriegen zu thematisieren. Schwangerschaftsabbrüche, Ängste, Zweifel oder postnatale Depression gehören zu Tabuthemen, die verschwiegen werden. Oft hat man auch das Gefühl, dass Frauen hinter ihrer Mütterrolle verschwinden und nur noch darüber definiert werden.

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Indem Menschen wie Jana ganz ehrlich über ihre Ängste und Zweifel sprechen und einen offenen Dialog anregen, kann die Situation verändert werden: "An den Reaktionen zu meinem Blog-Beitrag merke ich, dass ich zum Glück nicht die einzige bin, die sich Gedanken macht, ob sie die Verantwortung für ein neues Leben tragen kann und will." Auch Sarah Diehl stößt mit ihren wirklich lesenswerten Büchern und Artikeln oder dem preisgekrönten Dokumentarfilm Abortion Democracy: Poland/South Africa längst fällige Debatten an.

Wir müssen das Frausein neu definieren

Insgesamt zeigt die Diskussion, wie wichtig das Thema ist und wie viele Menschen es beschäftigt. Sarah Diehl bringt das Anliegen auf den Punkt: "Wir Frauen müssen letztlich dazu kommen, eine eigene Definition unseres Frauseins zu formulieren, die uns in unserer ganzen Komplexität wahrnimmt, die uns nicht von außen vorgegeben wird und uns auf Frausein = Mutterschaft reduziert." Indem wir einseitige, gefühlsgeleitete Meinungen vermeiden, gehen wir schon einmal einen großen Schritt in die richtige Richtung. Und die Frage "Na, wann sind denn Kinder geplant?" verkneifen wir uns demnächst einfach mal.