Spätestens seit Wissenschaftler in der Corona-Pandemie festgestellt haben, dass ein gesundes Bakteriengleichgewicht im Darm mit einem leichteren Verlauf einer Covid-Erkrankung im Zusammenhang steht, liegen Probiotika wieder voll im Trend. Es handelt sich dabei um natürliche Nahrungsmittel beziehungsweise Supplemente, in denen Kolonien von gesunden Bakterien enthalten sind.
Doch das Mikrobiom, also die Gesamtheit der Bakterien im Darm, besitzt einen noch größeren Einfluss auf deine Gesundheit, speziell wenn es um Hormone geht – den Heiligen Gral weiblichen Wohlbefindens sozusagen. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass es einen günstigen Einfluss auf Leiden wie PMS (prämenstruelles Syndrom) und PCOS (polyzystisches Ovarialsyndrom) hat. Was genau wissen wir über den Nutzen von Probiotika für den Hormonhaushalt? Hier ist der aktuelle Überblick.
So sorgt der Darm für deine "Innere Sicherheit"
Im Magen-Darm-Trakt werkeln Billionen von Bakterien vor sich hin. "Sie sind mitentscheidend für den richtigen Ablauf der Körperfunktionen", erklärt Dr. Ghazala Aziz-Scott, Ärztin an der auf Hormonbehandlungen spezialisierten Marion-Gluck-Klinik in London. Das Mikrobiom beeinflusst so ziemlich alles im Körper, von der Laune übers Immunsystem bis hin zu Schlaf, Alterung, Krebs und Allergien. Die Liste ist nahezu endlos – und wächst mit neuen Forschungsergebnissen ständig weiter.
Als derart wichtiger Influencer besitzt das Mikrobiom ein großes Potenzial. "Die Möglichkeiten, es zu therapeutischen Zwecken zu nutzen, sind riesig", so Professor Tim Spector, einer der führenden Mikrobiom-Experten. Die Frage ist nur: Wie schöpfen wir dieses Potenzial aus? Experten sind sich einig, dass ein Mix aus vielen pflanzlichen Nahrungsmitteln in Kombination mit fermentierten Speisen und Getränken der Schlüssel zu einem besonders gesunden Darm-Innenleben ist.
So steuert die Darm-Hirn-Achse dein Wohlbefinden
Eventuell hast du schon von der Darm-Hirn-Achse gehört. Darunter versteht man die beiderseitige Kommunikation zwischen Zentren des Gehirns und dem Verdauungstrakt. Laut einer aktuellen Studie beeinflussen deine Darmbakterien zum Beispiel, wie stark dein Gehirn auf bestimmte Nahrungsmittel reagiert. "Neurotransmitter wie Serotonin und Dopamin, die Stimmung und Verhalten beeinflussen, werden von Bakterien im Verdauungstrakt produziert", erläutert Dr. Ina Schuppe Koistinen, Leiterin der Abteilung Mikrobiologie, Tumor- und Zellbiologie am Karolinska-Institut in Stockholm.

Auch während und nach der Menopause spielt das Mikrobiom eine wichtige Rolle
Neuere Untersuchungen haben aber auch gezeigt, dass es einen Informationsaustausch zwischen dem Darm und den Fortpflanzungsorganen sowie deren Hormonen gibt. Das Zusammenspiel mit Östrogenen, Androgenen, Insulin und weiteren Hormonen ist so eng, dass Forscher inzwischen das Mikrobiom als eigenes endokrines Organ und Teil des Hormonsystems betrachten. "Es ist in der Lage, den Östrogenspiegel im Blut mittels des von ihm produzierten Enzyms Beta-Glucuronidase zu beeinflussen", erklärt die international renommierte Darmgesundheits-Expertin Megan Rossi. "Es kann inaktives Östrogen in die aktive Form umwandeln und aus dem Darm zurück in den Blutkreislauf recyceln." Stimmt etwas mit der Darmflora nicht, kann dies den Östrogenhaushalt negativ beeinflussen. "Dies kann eine Rolle spielen bei Erkrankungen wie PCOS, Endometriose oder Unfruchtbarkeit."
So wirkt das Mikrobiom sich auf die Gesundheit aus
Studien zeigen, dass Frauen mit PCOS (polyzystisches Ovarialsyndrom) besonders viele Keime des Typs Bacteroides vulgatus im Mikrobiom aufweisen. Überträgt man eine Probe dieses Mikrobioms per Stuhltransplantation auf Mäuse, entwickeln die Nager ähnliche Symptome wie bei PCOS. Patientinnen mit PCOS weisen darüber hinaus niedrigere Werte an Serotonin sowie den appetitregulirenden Hormonen Ghrelin und PYY (Peptid YY) auf. Dies legt den Verdacht nahe, dass die Darm-Hirn-Achse dabei eine Rolle spielt. "Frauen, die an PCOS leiden, neigen genetisch zu einer Östrogendominanz sowie zu Insulinresistenz und hohen Androgenwerten, also männlichen Geschlechtshormonen", so Dr. Aziz-Scott.
Untersuchungen zeigen auch, dass diese Frauen eine geringere Diversität hinsichtlich des Mikrobioms aufweisen und dass die Insulinresistenz zu stärkeren Entzündungsreaktionen im Darm führen kann. "Eine verbesserte Darmgesundheit hilft dabei, den Östrogenspiegel zu senken und Entzündungsreaktionen abzumildern." Ähnliche Zusammenhänge gibt es bei Endometriose. "Wir wissen heute, dass diese Erkrankung mit Östrogen, Autoimmunität und Entzündungsvorgängen in Verbindung steht, und alle diese Faktoren werden durch das Mikrobiom beeinflusst", erläutert Aziz-Scott. Daher lassen sich die Symptome verringern, indem man die Darmflora stärkt.
Die Wechselwirkung zwischen Mikrobiom und Östrogenhaushalt macht den Darm auch zu einem wichtigen Player, wenn es um die Menopause geht. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Isoflavone aus Sojapflanzen die Konzentration des Keims Bifidobacterium erhöhen und gleichzeitig die Verbreitung der Bakterienfamilie Clostridiaceae senken. Ersteres verbessert die Immunabwehr, Letzteres spielt bei Entzündungserkrankungen eine Rolle. "Nach der Menopause führt der Östrogenmangel dazu, dass bestimmte Bakterien, die Einfluss auf die T-Zellen des Immunsystems haben, in geringerer Zahl vorhanden sind. Außerdem können Darmbakterien das Osteoporoserisiko senken."
So optimierst du deine Ernährung für ein gesundes Mikrobiom
Eine perfekte Bakterien-Formel für den Hormonhaushalt gibt es trotz der vielversprechenden Forschungsergebnisse noch nicht. Was man heute schon mit Sicherheit sagen kann? Sämtliche Expertinnen, die wir zu dem Thema befragt haben, waren sich in einer Sache einig: Du brauchst keine Bakterien-Einkaufsliste, wenn du das nächste Mal shoppen gehst. Es kommt nicht darauf an, welche Bakterienstämme auf dem Etikett eines Jogurts stehen. Viel wichtiger ist die grundsätzliche Art und Weise, sich zu ernähren.

In einem gesunden Smoothie steckt alles, was du und dein Darm braucht
"Empfehlenswert ist eine entzündungshemmende Ernährung mit wenig Zucker und Alkohol, die hingegen eine große Vielfalt an Obst und Gemüse umfasst, mit reichlich sekundären Pflanzenstoffen und Probiotika", rät Dr. Aziz-Scott. Und auch bei Stimmungsschwankungen kann die richtige Ernährung helfen. "Die EU-Richtlinien empfehlen Menschen mit einer Neigung zu Depressionen eine Ernährung mit hohem pflanzlichen Anteil. Dazu gehören Getreide, Ballaststoffe, Fermentiertes, aber auch Fisch."
Hier noch ein paar Hinweise, wie du deinen Einkaufskorb gut füllen kannst: Zu den Lebensmitteln, die Probiotika – also lebende Bakterien – enthalten, gehören außer Jogurt auch Sauerkraut, Kefir, Kimchi und Kombucha. Präbiotika hingegen sind lösliche Ballaststoffe, die den guten Bakterien als Nahrung dienen, damit sie kurzkettige Fettsäuren herstellen können, die wiederum wichtig für die Gesundheit der Darmschleimhaut sind. Präbiotika stecken in ballaststoffreichem Obst und Gemüse wie Hülsenfrüchte, Äpfel, Karotten und Getreide.
So kannst du mit Nahrungsergänzungen nachhelfen
Wer zusätzlich Supplemente einnehmen möchte, sollte ein paar Dinge beachten, insbesondere was die Anzahl der enthaltenen Bakterien betrifft. Sie wird in sogenannten koloniebildenden Einheiten (KBE) angegeben und darf nicht zu niedrig sein. "Ideal sind lebende Kulturen, die im Kühlschrank aufbewahrt werden und mehr als 5 Milliarden koloniebildende Einheiten mit verschiedenen Mikroben umfassen", rät Professor Spector. Andernfalls haben die Winzlinge keine Chance, sich im hart umkämpften Darminhalt zu etablieren. Auch Dr. Aziz-Scott empfiehlt einen Mix aus unterschiedlichen Keimen: "Dazu gehören üblicherweise Lactobacillus, Bifidobacterium sowie Saccharomyces boulardii.“
Auch noch wichtig zu wissen: Nach der Einnahme von Supplementen kann es zu leichten Blähungen kommen, aber das ist aus medizinischer Sicht nicht unerwünscht, sondern sogar ein Zeichen dafür, dass die Bakterien ihre Arbeit verrichten. Und dafür brauchen sie Zeit. "Ein Supplement sollte man mindestens 8 Wochen lang einnehmen, um beurteilen zu können, ob sich eine gesundheitliche Veränderung ergibt oder nicht", rät Professor Spector. Die Forschung zu Probiotika entwickelt sich rasant weiter. Für den Moment ist aber das Wichtigste, sich gesund und ausgewogen zu ernähren, hauptsächlich basierend auf unverarbeiteter, pflanzlicher Nahrung. Sobald du jetzt die richtigen Grundlagen schaffst, haben es die gesunden Keime in Zukunft leichter, den Magen-Darm-Trakt zu besiedeln und dessen biologische Vielfalt zu erhöhen.
Diese 3 Keime verleihen deinem Mikrobiom neue Kräfte
Bei Billionen von Bakterien kann man schnell den Überblick verlieren. Diese 3 sind besonders hilfreich:
Lactobacillus
Eine Bakteriengattung, deren Vertreter Milchsäure produzieren. Abgesehen vom Verdauungstrakt besiedeln sie auch die Vaginalschleimhaut und schützen sie vor dem Eindringen anderer Keime.
Bifidobacterium
Eine zweite, Milchsäure-produzierende Bakteriengattung, die ebenfalls in Darm und Vagina vorkommt. Genau wie Lactobacillus wird sie industriell für die Herstellung von Milchprodukten verwendet.
Saccharomyces boulardii
Ein Hefepilz, der im Darm ideale Bedingungen findet, um zu gedeihen. Dadurch verhindert er besonders effektiv, dass sich andere, möglicherweise Durchfall auslösende Keime ansiedeln.
Das Mikrobiom, also die Gesamtheit der Bakterien im Darm, beeinflusst so ziemlich alles im Körper. Ein gesunder Darm hat Auswirkungen auf deine Laune, den Hormonhaushalt, bis hin zu den Fortpflanzungsorganen. Darum solltest du eine große Vielfalt an Obst und Gemüse zu dir nehmen und versuchen, auf Zucker und Alkohol zu verzichten.