Mentale Gesundheit: Was Social Media bewirkt

Mental Health Day
Mentale Gesundheit und Soziale Netzwerke – wie passt das zusammen?

Veröffentlicht am 10.10.2019
World Mental Health Day
Foto: ImYanis / Shutterstock.com

Ein Post hier, ein Like da – Soziale Netzwerke sind inzwischen kein Trend mehr, sondern Teil der Normalität. Viele Menschen können sich ein Leben ohne Instagram, Facebook oder Twitter kaum noch vorstellen. Aber wie wirkt sich diese Dauerbetrachtung des Lebens anderer Menschen auf die Psyche aus?

Was ist der World Mental Health Day?

Der Welttag der psychischen Gesundheit (10. Oktober) wurde 1992 auf Initiative der World Federation for Mental Health (WFMH) ins Leben gerufen, um auf die große Bedeutung psychischer Gesundheit und die wachsende Zahl von Menschen mit psychischen Problemen hinzuweisen. In mehr als 150 Ländern versuchen an diesem Tag Betroffene und Experten auf unterschiedliche Weise, die Aufmerksamkeit auf psychische Erkrankungen und ihre großen Auswirkungen auf das Leben der Menschen weltweit zu lenken.

Heutzutage liegt der Fokus beim Mental Health Day neben dem zunehmenden Stress vor allem auf den vielen Lebensveränderungen durch die Digitalisierung. Außerdem geht es um die Psyche junger Menschen, die durch den digitalen Wandel oft besonders beansprucht ist. Auch und gerade Soziale Medien und ihre Auswirkungen stehen unter Beobachtung der Psychologie.

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Wie kann die Nutzung Sozialer Netzwerke sich negativ auf die Psyche auswirken?

Es wird bereits lange über das Zusammenwirken von psychischen Erkrankungen und der Nutzung Sozialer Netzwerke diskutiert. Studien zeigen, dass das intensive Betrachten von Facebook-Posts oder Instagram-Bildern schöner und glücklicher Menschen für die Verfassung kontraproduktiv ist, wenn Menschen sich in einer depressiven Phase befinden. So verstärkt sich bei vielen das Gefühl von: "Alle sind super und happy, nur ich nicht." Psychologen warnen vor der Sogwirkung dieser Medien und raten Menschen dazu, sich bei akuten psychischen Problemen von der bunten Netzwerkwelt fernzuhalten und eher auf sich zu schauen.

Psychotherapeutin Lena Kuhlmann sagt: "Kontakte auf Social Media können niemals vollständig echte Begegnungen ersetzen: gemeinsam lachen, Blickkontakt, Umarmungen und Berührungen, miteinander schwingen – das alles ist wichtig für die Psyche." Gesunde Social-Media-Nutzung erfordert also immer ein gesundes soziales Leben außerhalb des Internets und die nötige Distanz zu dem, was in den Social-Kanälen zu sehen ist.

"Es kann sonst zum Beispiel zu einer Wahrnehmungsverzerrung kommen, wenn wir uns zu lange und zu oft auf diesen Plattformen aufhalten", sagt Kuhlmann. "Dort präsentieren sich Menschen meist im besten Licht, Bilder werden bearbeitet, und nicht alle Nutzer können soweit differenzieren, dass es sich hierbei nicht um den Alltag handelt, sondern um Auszüge und Inszenierungen."

Darüber hinaus warnt die Psychotherapeutin vor Inhalten, die verstörend wirken können: "Zwar werden diese Beiträge von ihren Verfassern meist mit einem Warnhinweis versehen, wirklich geschützt ist dadurch niemand." Taucht so ein Beitrag in der eigenen Chronik auf, kann das Spuren bei der Betrachterin hinterlassen.

"Auch ich habe schon Bilder von Ritzwunden gesehen oder Texte gelesen, die runterziehen. Es gibt die Möglichkeit diese zu melden, allerdings wurden sie dann leider schon veröffentlicht und können nur nachträglich gelöscht werden." In der Zeit bis zur Löschung können alle diese Beiträge sehen.

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Es klingt hart, ist aber wahr: Im Internet sind alle zunächst auf sich allein gestellt. Das birgt immer Gefahren für psychisch verletzliche Menschen. "Die Anonymität im Internet lässt Hemmschwellen sinken", sagt Lena Kuhlmann. "Viele vergessen beim Schreiben verletzender Kommentare, dass hinter jedem Post ein echter Mensch steht. Teilweise, und das ist besonders bedenklich, gibt es Gruppierungen, die einander auf eine gefährliche Art beeinflussen." Als Beispiel nennt sie die "Blue Whale Challenge", die 2016/17 ihre Teilnehmer aufforderte, 50 Aufgaben zu erfüllen und sich am Ende das Leben zu nehmen.

Wie können Soziale Netzwerke bei psychischen Problemen nutzen?

Neben beängstigenden News gibt es aber auch ganz andere Erfahrungen. Es gibt eine freundliche, unterstützende Seite des Sozialen Netzes, das seinen Namen rechtfertigt: Da sind zum einen die vielen Tausend Menschen, die sich in Facebook-Gruppen zum Themenbereich Depression und Ängste mit anderen Betroffenen über Erfahrungen austauschen, die sich gegenseitig unterstützen und Zuspruch leisten.

Andere Betroffene berichten täglich Hunderttausenden von Followern über ihren Insta-Feed davon, wie sie sich z. B. aus einer Depression befreit haben und machen Erkrankten Mut, sich nicht aufzugeben, sich Hilfe zu suchen, weiter zu machen. Sie schaffen ein öffentliches Bewusstsein, neudeutsch: "Awareness", für dieses Thema und helfen dafür zu sorgen, dass es in der schönen Glitzerwelt des Netzes nicht unter den Tisch fällt.

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"Diese Plattformen geben Betroffenen die Möglichkeit Gleichgesinnte aus der ganzen Welt zu finden, sich untereinander auszutauschen, oder sich auf eine positive Art gegenseitig zu beeinflussen", sagt Therapeutin und Buchautorin Kuhlmann ("Psyche? Hat doch jeder!", Eden Books, ca. 17 Euro). "Dazu gibt es einige tolle Challenges, Übungen oder Mottowochen. Das ist ziemlich motivierend und ein schönes Gemeinschaftsgefühl. Daneben gibt es Achtsamkeitstipps, Literatur- und Filmempfehlungen oder mutspendende Sprüche – da ist für alle etwas dabei."

Die Therapeutin nutzt die Sozialen Netzwerke sogar selbst für Aufklärungsarbeit. "Es gibt noch viele Vorurteile rund um die Psyche. Über Instagram und Facebook kann ich relativ einfach viele Menschen erreichen." Da erlebt sie auch, wie das Unterwegssein in den Netzen Betroffenen hilft: "Einige User teilen hier ihre Gefühle und Gedanken auf eine kunstvolle Art in Bild und Text. Das kann entlastend und für andere Betroffene hilfreich sein."

Was raten Psychologen zur Nutzung von Facebook, Instagram und Co.?

Einige Experten warnen vor der Nutzung Sozialer Netzwerke in Zeiten psychischer Belastung und bei einer Vorbelastung etwa durch eine Depression. Letztlich geht es immer darum, in welcher Situation welches Individuum welche Netzwerke in welcher Weise verwendet. Es gibt kein "nur gut" und "nur schlecht".

Es stellt sich vielmehr die Frage: Ist es nur ein einsames, passives Konsumieren – oder ist es ein aktives, kommunikatives, achtsames Verhalten? Letzteres beinhaltet eben auch, in Momenten größerer Belastung offline zu gehen und sich um sich selbst zu kümmern, ums eigene Leben und nicht um das der anderen.

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Lena Kuhlmann sagt zum Umgang mit Sozialen Netzwerken: "Es ist schwer pauschal zu etwas zu raten, weil wir alle unterschiedlich sind und sich psychische Erkrankungen individuell immer anders auswirken können. Der erste Schritt ist vielleicht, uns selbst, und das, was uns gut tut, zu beobachten und dem Sorge zu tragen." Dafür sind eigene Achtsamkeit und Disziplinierung wichtig, es gibt aber auch Helfer in der digitalen Welt. Kuhlmann: "Hilfreich können Apps sein, die unsere Online-Aktivitäten tracken, das verschafft uns ein besseres Gefühl für die eigene Mediennutzung."

Instagram plant diese Möglichkeit zur Selbstkontrolle als integrierte Funktion einzubauen. Auch sonst sind sich die Betreiber der großen Netzwerke der möglichen Probleme bewusst und versuchen mittels zahlreicher Hilfsangebote sicherzustellen, dass "die Zeit, die Menschen in sozialen Netzwerken verbringen, bewusst, positiv und inspirierend ist", so eine Mitteilung des Facebook-Konzerns.

Bei sensiblen Themen gibt es zum Beispiel Tipps zur Selbsthilfe, Kontakt zur Telefonseelsorge und die Möglichkeit, Freunde zu kontaktieren. Kontraproduktive Beiträge, etwa Aufrufe zur Selbstverletzung, entfernen die Betreiber, wenn diese gemeldet werden.

Letztlich müssen aber vor allem die Nutzerinnen und Nutzer die ideale Form der Verwendung für sich finden. "Am Ende geht es für uns alle immer darum, eine Balance zu finden und auch die anderen Lebensbereiche zu leben", sagt Lena Kuhlmann, "Ich erinnere da gerne an die vielen Rollen, die wir haben, zum Beispiel: Youtuberin, Arbeitskollegin, Mutter, Sportlerin. Es ist nie gut, nur einen Bereich auszuleben – eine gute Geschäftsfrau investiert schließlich auch stets in mehrere Projekte."