Weibliche Wut: So lernst du, deinen Zorn positiv zu nutzen

Weibliche Wut
Du bist wütend? Gut. Hier zeigen wir dir, wie du daraus etwas Positives machst

Veröffentlicht am 05.11.2024
Du bist wütend? Gut. Hier zeigen wir dir, wie du daraus etwas Positives machst
Foto: Taisiya Kozorez / Shutterstock.com

Stell dir einmal die Frage: Was sind deine persönlichen Wutauslöser? Ist es der unfaire Gender-Pay-Gap oder die unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen? Ärgert dich die fehlende Bereitschaft deines Nachbarn, die Hundehaufen seines Vierbeiners einzusammeln? Dein Onkel, der sich übers Gendern lustig macht? Oder die Tatsache, dass im Familienalltag mal wieder alles an dir hängen bleibt und du zwischen kranken Kindern versuchst, auch noch Job und Haushalt zu erledigen?

"Frauen sind oft wütend, weil sie sich ausgenutzt, gestresst und erschöpft fühlen", sagt Autorin Soraya Chemaly. Eine Studie des Müttergenesungswerks bestätigt das: Demnach litten über 90 Prozent der Mütter, die 2022 an einer Mutter-Kind-Kur teilgenommen hatten, an den psychischen Folgen dauerhafter Belastung, zeigten Erschöpfungszustände, Schlaf- und Angststörungen oder depressive Verstimmungen. Da kann man schon mal wütend werden.

Woher kommt die Wut der Frauen?

Christine Smith, Professorin für Psychologie, menschliche Entwicklung und Frauen- und Geschlechterstudien an der University of Wisconsin, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema. Ihrer Meinung nach fühlen sich viele Frauen so niedergeschlagen, dass es ganz natürlich ist, dass Wut aufsteigt – und es ist schwieriger, diese auf gesunde Weise auszudrücken. "Wenn wir gestresst und erschöpft sind, haben wir weniger Spielraum", sagt sie. "Dann kommen die schlimmen Seiten zum Vorschein." Stress und Wut sind natürlich nicht dasselbe, und doch gehören sie zusammen. Denn in einer chronisch stressigen Gesellschaft zu leben, bei der scheinbar keine Veränderung in Sicht ist, kann durchaus Grundlage für eine unterschwellige Wut sein.

Dabei ist Wut an sich gar nicht schlecht. Laut Expertin Smith ist dieses Gefühl ein eingebautes Signal dafür, dass etwas nicht funktioniert, was für das Überleben wichtig ist. Problematisch wird es erst, wenn du bei jemandem völlig ausrastest, der es gar nicht verdient hat. Und dafür sind Frauen anfälliger, denn wer emotional und kognitiv permanent auf Hochtouren laufen muss (Stichwort "Mental Load"), hat einfach nicht mehr genug Kraft, darüber nachzudenken, ob der Rempler eben im Café vielleicht gar keine Absicht war. Gelassenheit ist oft unerreichbar, wenn du so wenig Energie dafür übrig hast.

Wer wütend ist, wird gern als hysterisch abgestempelt

Grundsätzlich ist es also vollkommen legitim, wütend zu sein. Allerdings nicht für Frauen. Denn wütende Frauen sind in der Gesellschaft verpönt. Und deshalb verwendest du schon seit Kindestagen eine Menge emotionale Arbeit darauf, diese eigentlich gesunde Emotion zu verbergen oder umzulenken.

Denn wenn du nur mit wenigen Beispielen aufgewachsen bist, wo die weibliche Wut von Müttern und Großmüttern als akzeptabel und berechtigt angesehen wurde, und dir von klein auf gesagt wurde, dass du die Wut herunterschlucken und stattdessen lieber nett sein solltest, wenn du wütend bist, brennt sich diese Überzeugung tief in deine Seele ein. Und das über Generationen hinweg. "Wenn man jemandem ständig vermittelt, dass es schlecht ist, wütend zu werden, wird diese Person die Wut in ihrem Leben auf ein Minimum reduzieren", bestätigt Ryan Martin, Psychologieprofessor und Autor von "Why We Get Mad: How to Use Your Anger for Positive Change" (Watkins Publishing, um 16 Euro).

Frauen dürfen nicht wüten, sie müssen verzeihen

Hinzu kommt: "Von Frauen wird gesellschaftlich erwartet, dass sie immer verzeihen", sagt Soraya Chemaly, Autorin von "Speak out! Die Kraft weiblicher Wut" (Suhrkamp Nova, 20 Euro). "Und wenn wir uns dann doch einmal Luft machen müssen und endlich mal sagen, was uns stört, denken wir gleich als Nächstes: ,Ich sage es lieber nur auf die harmloseste Art und Weise. Auf gar keinen Fall werde ich Worte wählen, die auch nur ansatzweise unhöflich klingen könnten.‘"

Schließlich ist Wut nicht weiblich, sie ist nicht nett, sie verzerrt das Gesicht – und das macht Falten, die wiederum als unattraktiv gelten. Um Himmels Willen!

Wütende Frauen geraten gesellschaftlich ins Abseits

Tatsächlich wird die Vorstellung, dass Wut für Frauen tabu ist, durch die Reaktion, die sie erhalten, wenn sie wütend sind, noch verstärkt: Untersuchungen zeigen, dass Frauen negativer beurteilt werden als Männer, wenn sie ihre Wut zum Ausdruck bringen. "Eine wütende Frau verliert an Status, ganz gleich, in welcher Position sie ist", sagt die Psychologin Victoria L. Brescoll von der Yale University. In einem Versuch zeigte ihre Forschungsgruppe den Probanden Videos wütender Menschen. Ergebnis: Die Wut der Männer wurde positiv gewertet, die der Frauen negativ. Der offene Umgang mit Wut ist bei Männern also eine akzeptierte Verhaltensweise, Frauen hingegen müssen mit Ablehnung rechnen.

Und deshalb verzichten sie lieber auf die Konsequenzen, die drohen, wenn sie ihre normale, gesunde Wut zum Ausdruck bringen: "Frauen werden – egal ob absichtlich oder unabsichtlich – aufhören, ihre Gefühle auf diese Weise auszudrücken", so Martin. Das ist fatal, denn: "Wut ist die sozialste aller Emotionen", erklärt Chemaly. Denn wenn du wütend bist, ist das eigentlich ein Zeichen der Hoffnung. Es bedeutet, dass du glaubst, dass sich etwas ändern sollte und dass andere sich um dich sorgen und dir helfen sollten. Eine Gesellschaft, die allergisch auf den Ausdruck von Wut reagiert und Frauen davon abhält, ihre Wut zu zeigen, ist daher nur eins: schlichtweg ungerecht.

Warum unterdrückte Wut Frauen sogar krank macht

Aber nicht nur das: Die weibliche Wutaversion der Gesellschaft ist für Frauen auch ein ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko. Professor Martin geht davon aus, dass sie diese Emotion inzwischen sogar oft gar nicht mehr bemerken, wenn sie über sie kommt. Stattdessen wandeln sie die eigentlich glühende Wut oft in Traurigkeit, Enttäuschung, Frustration oder Resignation um – allesamt weniger aktive Emotionen, die für Frauen als akzeptabler gelten.

Studien belegen jedoch, dass unterdrückte Wut in engem Zusammenhang mit Depressionen, Angstzuständen und sogar Essstörungen steht. Es gibt Hinweise darauf, dass bestimmte körperliche Symptome – von wiederholten Infektionen bis hin zu chronischen Schmerzzuständen – mehr mit der Unterdrückung von Wut zu tun haben als mit deren Ausdruck. "Außerdem führt unterdrückte Wut zu dauerhaft angespannten Muskeln, was zu chronischen Rückenschmerzen und Spannungskopfschmerzen führen kann", fügt Experte Martin hinzu.

Frauen brauchen eine gesunde Form der Wutbewältigung

Klar, Wut macht dich nicht gerade kompetenter oder schlauer. Führst du dir mal die Liste der Entscheidungen vor Augen, die du im Wutzustand getroffen hast, ist es eigentlich nur logisch, dass du Wut vermeiden willst. Klar ist es da verlockend zu denken: "Wut ist ungesund, also muss ich spazieren gehen, meditieren oder diese CBD-Tropfen nehmen, um mich zu beruhigen." In der Tat kann es dich davon abhalten, den Partner anzuschreien oder der Chefin eine bissige E-Mail zu schreiben, wenn du dein Erregungsniveau im Moment des Ärgers senken und klarer denken kannst.

Aber es ist ein Fehler, die Wut zu umgehen, um dich besser zu fühlen, ohne dich mit den Ursachen der Wut auseinanderzusetzen. Laut Professor Martin setzen zu viele Programme zur Wutbewältigung heutzutage noch immer den falschen Fokus. Sie konzentrieren sich nämlich – trotz überwältigender Studienlage – immer noch hauptsächlich auf die Minimierung der Wutintensität und die Umdeutung wütender Gedanken. "Das kann sich für Menschen, die berechtigte Gründe haben, wütend zu sein, ziemlich herabsetzend anfühlen", sagt er. "Denn im Wesentlichen bekommen sie die Message: Werde weniger wütend! Was impliziert, dass sie sich das alles nur einbilden." Im besten Fall bleibt dies unwirksam, im schlimmsten Fall jedoch werden wütende Frauen noch mehr unter Druck gesetzt.

Lass es raus! Deiner Gesundheit zuliebe

Letztendlich ist es doch so: Du brauchst die Wut, genauso wie alle anderen Gefühle. "Die Ansicht, dass positive Emotionen ideal für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden sind, ist weitverbreitet", sagt Heather Lench von der American Psychological Association. "Aber neuere Untersuchungen legen nahe, dass ein Mix von Emotionen, zu dem auch negative Gefühle wie Wut gehören, die besten Ergebnisse verspricht, wenn es um mentale Gesundheit geht."

Denn jede Emotion hat ihre eigene Funktion und damit auch eine Daseinsberechtigung: Wut kann zum Beispiel bedeuten, dass du aktiv werden musst, um ein Hindernis zu überwinden. In Lenchs Studie kam heraus: "Die Ergebnisse zeigen, dass Wut die Bemühungen steigert, ein begehrtes Ziel zu erreichen, und oft zu größerem Erfolg führt."

Anstatt die Wut zu verdrängen und ein Lächeln aufzusetzen, solltest du also umdenken und sie rauslassen – auf produktive und mental gesunde Weise. Wie das geht, erfährst du im nächsten Absatz.

Mach das Beste aus deiner Wut

Statt ein Lächeln aufzusetzen und deine Wut zu unterdrücken, versuche lieber diese Strategien und Tricks:

  • Benenne das Gefühl! Nur zu, sag es: "Ich. Bin. Wütend!" Es mag sich vielleicht anfangs seltsam anfühlen, aber es als das zu benennen, was es ist, statt sich reflexartig einzureden, dass es keinen Sinn hat, wütend zu sein, weil man eh nichts dagegen tun kann, ist extrem wichtig.
  • Mache einen Plan Wenn du deine Wut nicht rauslässt, wirst du dich weiterhin machtlos fühlen – und das Problem wird bestehen bleiben. Eine klassische Lose-lose-Situation, denn hier gewinnt keiner. Setz dich hin und schreib deine Gefühle auf. Das trägt dazu bei, die Wut in konkrete Gedanken umzuwandeln. Und das kann dir dabei helfen, zu erkennen, wozu die Wut dich antreibt.
  • Drücke deine Wut offen aus Es ist wichtig, dass du lernst, wie du deine Wut ausdrücken kannst. Wenn es nicht nur um die Person geht, auf die du sauer bist, sag das. Sag genau, was du brauchst: "Ich möchte, dass du mir jetzt zuhörst" oder "Ich möchte nicht, dass du ständig deine Socken rumliegen lässt". Im Idealfall ist dein Umfeld dankbar für deine Äußerung und bereit, dir entgegenzukommen. Aber selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, ist dies der Beginn eines Gesprächs, das erst zu Verständnis und dann zu Veränderung führen kann.
  • Fühle den Zorn Achte darauf, wie sich die Wut in deinem Körper anfühlt: Bist du gestresst, traurig, mutlos oder körperlich erschöpft? Hast du Kopfschmerzen oder möchtest am liebsten die ganze Zeit schlafen? Wenn die Wut die Ursache für das Gefühl ist, was sagt sie dir? Notiere Gefühle und Symptome und entwickle daraus eine Strategie, die für dich funktioniert.
  • Kanalisiere deine Wut Soziale Gerechtigkeit, die unsere Welt zu einem besseren Ort gemacht hat, entstand durch wütende Menschen, die auf Ungerechtigkeiten hinwiesen. Wenn du dich in sozialen Bewegungen engagierst, für deine Überzeugungen auf die Straße gehst oder anderen Menschen hilfst – hast du zwar immer noch ein gewisses Gefühl der Wut, aber du profitierst auch von anderen positiven Emotionen, die dadurch in dein Leben treten: das Gefühl der Gemeinschaft und Dankbarkeit zum Beispiel.
  • Sei ein Beispiel für gesunde Wut Der Schlüssel zur Umkehrung der Vorstellung, dass Frauen nicht wütend werden können, liegt darin, auf die nächste Generation zu achten. Wenn jemand anderes also einer Frau oder einem Mädchen sagt, sie sei unhöflich, obwohl sie nur ihre Wut zum Ausdruck bringt, schreite ein und hilf ihr, verstanden zu werden. Sage zum Beispiel: "Ich sehe, dass du wütend bist. Kannst du mir sagen, was der Auslöser dafür ist?" So trägst du im Kleinen zum gesellschaftlichen Wandel bei.
  • Sei aber auch nachsichtig Wenn jemand etwas tut, was dich wütend macht, gehe erst einmal davon aus, dass er oder sie gute Absichten hatte (es sei denn, du weißt genau, dass es nicht so ist). Wir alle haben schon mal in irgendeiner Form Verletzungen und Enttäuschungen erlebt, die uns und die Menschen in unserem Umfeld stark belastet haben. Im Rahmen deiner Möglichkeiten solltest du daher mit dir selbst und den anderen nachsichtig sein.

Wut ist ein Gefühl, das genau so seine Berechtigung hat wie Liebe oder Angst. Gerade bei Frauen wird oft die Nase gerümpft, wenn sie ihre Wut offen zeigen. Lass dich davon nicht abhalten, denn aufgestaute Wut kann dich krank machen. Mit unseren Tipps lernst du, deine Wut zu schätzen und auf gesunde Weise in die Welt zu tragen.