Die Omikron-Welle schwächt sich ab, ein Lockerungs-Fahrplan steht, dank der Impfungen und niedriger Zahlen von Intensivpatienten hat die vorsichtige Rückkehr in die Normalität begonnen: In Clubs kann wieder gefeiert werden, in Bars und Restaurants kann man endlich wieder seine Freunde treffen, Kinobesuche und Konzerte finden statt. Noch mit ein paar Vorsichtsmaßnahmen und Hygieneregeln, klar, aber immerhin!
Doch während viele das Ende des strengen Social Distancings genießen, fühlt sich das Ende der erzwungenen Isolation für eine Vielzahl von Menschen beängstigend an. Experten sprechen bei dieser Angst vor Öffentlichkeit und Nähe von einem "Cave Syndrom". Was es damit auf sich hat und wie du es überwindest, erklären wir in diesem Artikel.
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Was ist das Cave Syndrom überhaupt?
Vom Cave Syndrom Betroffene fällt es schwer, nach einer längeren Zeit des sozialen Rückzugs, zurück in die Normalität mit vielen zwischenmenschlichen Kontakten zu finden. Das kann zum Beispiel nach längerer Krankheit, wochenlangem Krankhausaufenthalt passieren, oder aktuell durch die Corona-Pandemie bedingten Lockdowns und Kontaktbeschränkungen.
Wer sich jetzt, geimpft und nach Lockerung der Beschränkungen, immer noch nicht aus der sicheren "Höhle" (englisch: cave) seiner Wohnung heraus traut, kann seine erlernte Angst, dass das Zusammentreffen mit anderen Menschen seiner Gesundheit gefährlich werden kann, nicht so einfach wieder ablegen – er oder sie haben ein Cave Syndrom entwickelt.
Ist das Cave Syndrom eine Krankheit?
Eine wirkliche Krankheit im klinischen Sinne ist es nicht, Psycholog*innen sprechen eher von einer Anpassungsverzögerung.
Doch die betrifft erstaunlich viele Menschen. In einer Studie vom Februar 2021 der American Psychological Association gaben 46 Prozent der befragten Erwachsenen an, sich unwohl zu fühlen, zu ihrem vor-pandemischen Alltag zurückzukehren. 49 Prozent gaben zu, dass ihnen die Vorstellung schwerfalle, künftig wieder zwischenmenschliche Nähe zuzulassen.
Und das betrifft nicht nur ältere Menschen, im Gegenteil: Untersuchungen des Instituts für Generationenforschung in Augsburg ergaben, dass 8 Prozent der 26- bis 39jährigen ihren Pandemie-Alltag am liebsten weiterführen würden. Zum Vergleich: Bei den über 56jährigen gaben das nur knapp 7 Prozent an.
Wie erkenne ich, ob ich unter dem Cave Syndrom leide?
Nachdem du seit Monaten in der Öffentlichkeit Maske trägst, gelernt hast, Menschen wenig und wenn nur auf Distanz zu begegnen, ist es völlig normal, wenn du jetzt die Nähe zu anderen erst einmal befremdlich findest. Schließlich haben wir in der Corona-Pandemie gelernt, dass der Kontakt zu anderen ein großes gesundheitliches Risiko bergen kann, oder wir durch eine Covid-19-Infektion andere Menschen in unserer Umgebung gefährden können. Auch ist die Gefahr trotz der wachsenden Zahl der Geimpften oder der angeblich "milderen" Omikron-Variante bei weitem noch nicht gebannt.
Soziale Distanz ist uns in den letzten eineinhalb Jahren zur Gewohnheit geworden. Und Gewohnheiten zu durchbrechen, das dauert halt seine Zeit. Deshalb leiden viele von vorübergehend an einem Cave Syndrom. Aber erst wenn man nicht nur anfangs unter Menschen "fremdelt", sondern sich gar nicht mehr aus dem eigenen "Schneckenhaus" zurück ins Leben traut, spricht man vom manifesten Cave Syndrom.
"Meist sind das Menschen, die vorher auch schon nicht so viel Kontakte gesucht haben", erklärt Psychologin Ilona Bürgel, "Durch die Pandemie hat man ja nicht völlig seine Persönlichkeit verändert. Das heißt, Dinge, die einem vor der Pandemie leichter oder schwerer fielen, haben sich jetzt womöglich verstärkt."
Wie verschwindet das Cave Syndrom wieder? 7 Tipps
In der Regel verschwindet es von allein, denn der Mensch ist ja ein lernfähiges Wesen. Indem du langsam deine Routine wieder umstellst und Kontakte und Nähe zulässt – zum Teil auch immer noch unter Sicherheitsvorkehrungen wie Maske tragen, regelmäßig Hände waschen und Abstand halten – wirst du die meisten Hemmungen und Ängste überwinden.
Wenn es dir schwer fällt, deine Gewohnheiten zu ändern, helfen diese 7 Tipps, um das Cave-Syndrom in den Griff zu bekommen:
1. Starte langsam
Triff dich anfangs mit einer Freundin / einem Freund draußen zu einem Spaziergang oder trinkt unter einem Heizstrahler oder in der Sonne draußen einen Kaffee. Erst wenn sich das wieder richtig anfühlt, solltest du Indoor-Verabredungen in Restaurants oder im Kino planen. Und auch da kann man "sanft" starten, zum Beispiel, indem du Zeiten auswählst, zu denen wenig Betrieb ist, um 15 Uhr im Restaurant zum Beispiel.
2. Definiere Ziele
"Plane konkret deine nächsten Aktivitäten, und zwar in kleinen Schritten", rät Psychologin Bürgel, "Also zum Beispiel, dich nächste Woche einmal, in der Woche darauf zweimal zu verabreden. Lege fest, wo und wie lange die Treffen stattfinden sollten." So findest du langsam aus deiner Höhle hinaus.
3. Vergleiche dich nicht
Unternehme nur, was sich für dich gut anfühlt, auch wenn Freunde und Familienmitglieder meinen, du müsstest wie sie mehr unternehmen. "Bleib stark und fordere auch nichts von dir, was du vor der Pandemie auch nicht gemacht hättest", rät Buchautorin Bürgel (Die Schokolade vor meiner Haustür: Wahre Kurzgeschichten über Glück in bewegten Zeiten).
4. Bleibe informiert, aber lass dich nicht ängstigen
Wer unter dem Cave Syndrom leidet, sollte selbstverständlich up-to-date sein über die neuesten Entwicklungen der Corona-Pandemie. Aber nicht wahllos und dauernd. "Wähle nur seriöse Quellen, um dich zu informieren, und das auch nur ein oder zweimal pro Tag", rät Bürgel. Zu viele und sensationsheischende Informationen verstärken nur deine Ängste.
5. Sprich über deine Ängste
Erzähle den Menschen in deiner Umgebung, dass es dir trotz der zurückgefahrenen Corona-Maßnahmen schwerfällt, dich aus deiner inneren Höhle heraus zu trauen, sonst fühlen sie sich möglicherweise verletzt. Erklär ihnen das Cave Syndrom.
6. Justiere dein Leben neu
Einige Menschen haben während der Pandemie festgestellt, dass es ihnen guttut, mehr Zeit allein und zuhause zu verbringen. Vielleicht hast ja auch du jetzt erst gemerkt, wie sehr dir dein stets voller Terminkalender geschadet hat. Dann akzeptiere das, es ist völlig okay!
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7. Suche dir Hilfe
Nicht immer steckt ein vorübergehendes Cave Syndrom hinter einem sozialen Rückzug. Eine in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichten Studie kommt zu dem Schluss, dass durch die Pandemie weltweit 52 Millionen Menschen mehr an einer schweren depressiven Störung und 76 Millionen mehr an Angstzuständen leiden als es ohne der Fall gewesen wäre. Das sind die ersten Symptome einer Depression. Wenn also deine Schwierigkeiten anhalten und sich womöglich verschlimmern, zögere nicht zu lange, dir bei einer Ärztin oder einem Arzt deines Vertrauens Hilfe zu suchen.
Noch ist die Pandemie nicht vorbei, und wie lange die neuen Lockerungen bleiben, ist ungewiss. Zwischen gesunder Vorsicht und dem Cave Syndrom liegt ein schmaler Grat. Lass dich von den neuen Lockerungen im sozialen Leben nicht unter Druck setzen, sondern finde mit unseren Tipps in deinem eigenen Tempo zurück ins soziale Leben.