Es gibt fast nichts, was es nicht gibt: Die Möglichkeiten, um dein Health-Level zu überwachen, sind vielfältig. Gängige Tools sind Smartwatches, Fitness-Armbänder, Ringe und Waagen. Auf der IFA gilt der Bereich "Fitness & Digital Health" als der am schnellsten wachsende, laut Statista wurden 2024 in Deutschland 5,84 Millionen Wearables gekauft.
Lohnt sich der Hype? Wir haben einen Experten gefragt, ob dich diese ganze Technik gesundheitlich weiterbringt.
Sind Technologien zum Selbst-Check der Gesundheit wirklich nützlich?
Graumann: "Für wahrscheinlich 85 Prozent der Bevölkerung ist die Möglichkeit, seine Gesundheit selbst zu tracken, super wertvoll. Gemeint sind die Personen, die nicht regelmäßig Sport treiben und jeglichen Bezug zu ihrem Körper verloren haben."
Von welchen Funktionen profitieren Nutzer am meisten?
Graumann: "Bei vielen fehlt die innere Uhr. Sie wissen nicht, wann sie ins Bett gehen sollen und wann sie aufstehen müssen, um einigermaßen erholt zu sein. Wenn wir nicht richtig erholt aufstehen, dann ist unser Essverhalten sehr viel schlechter, genau wie unser Bewegungsverhalten. Daher ist ein Feedback zum Schlaf wichtiger als diverse Sportfunktionen, zumindest für den Einstieg. Ich stelle auf Workshops bei internationalen Konzernen gerne die Frage, wie voll sich der innere Akku morgens anfühlt. Der Mittelwert liegt bei 62 Prozent. Ein Handy, das sich nur noch auf 62 Prozent laden lässt, würden wir doch sofort ersetzen. Aber wir glauben, damit den Stress des Alltags bewältigen zu können. Das ist Quatsch, 80 Prozent sind realistisch."
Also brauchen Health-Tracker nur eine Schlaffunktion, der Rest ist Schnickschnack?
Graumann: "Man muss auch sehen, warum die Menschen schlecht schlafen. Bewegungsmangel steht dabei ganz oben auf der Liste. Es gibt eine Zahl aus Standfort von Prof. Kelly McGonigal, die besagt: Wenn du am Tag nicht mindestens 5.649 Schritte zurücklegst, dann steigt das Risiko für depressive Episoden und Angstzustände exorbitant nach oben. Und die sind oftmals mit getriggert durch schlechten Schlaf. Durch das Home-Office gibt es zahlreiche Menschen, die am Tag weniger als 2.000 Schritte gehen. Die haben nicht auf dem Schirm, was das mit ihrem Schlaf, Stoffwechsel und Körper macht. Ein Schrittzähler sowie eine Bewegungserinnerung sollten also ebenfalls zu meinem Tracker gehören. Seine Sitzposition mindestens stündlich zu wechseln oder noch besser einmal kurz aufzustehen beziehungsweise eine Zeit lang im Stehen zu arbeiten ist empfehlenswert, damit Rückenschmerzen nicht zunehmen. Es gibt keine perfekte Sitzposition, die beste ist die nächste."
Einige Wearables leisten viel mehr, zum Beispiel den eigenen Blutdruck zu messen. Ist das sinnvoll?
Graumann: "Total. Viele Leute haben grenzwertig hohen Blutdruck – also Werte über 140 zu 90 – ohne es zu wissen. Bei unseren Konzernscreenings liegt die Dunkelziffer bei 15 Prozent . Ein zu hoher Blutdruck ist einer der größten Risikofaktoren für einen plötzlichen Herzinfarkt oder Schlaganfall. Er gilt als sogenannter Silent Killer, weil man zu hohe Werte am Anfang gar nicht mitbekommt. Umgekehrt treten beim Arzt wegen der Laborsituation häufig falsch-positive Werte auf. Generell ist es nicht schlimm, wenn der Blutdruck mal hochgeht, beim Treppensteigen tut er das immer. Aber er sollte sich eben auch wieder beruhigen und daher überprüft man ihn am besten im häuslichen Umfeld in Ruhe. Es gibt zum Beispiel eine Smartwatch, die mit einem aufblasbaren Armband den Blutdruck misst.
Ab wann besteht Handlungsbedarf?
Graumann: "Bereits ab einem Wert von 135 zu 85 macht es Sinn, die Ergebnisse 5-mal am Tag zu dokumentieren, um zu überlegen, ob eventuell medikamentös behandelt werden muss. Oder ob man das Problem über Bewegung, Ernährung und Schlaf in den Griff bekommt. Bei Frauen gilt folgende Richtlinie: Ab einem Bauchumfang von 89 Zentimetern liegt der Blutdruck meistens nicht mehr im Normbereich. Mit jedem Zentimeter weniger reduziert sich das Blutdruckrisiko. In meiner Praxis setzen wir auf Gewichtsreduktion in Kombination mit Intervalltraining. Das Problem bei Bluthochdruck ist ja die mangelnde Elastizität der Gefäße. Und Elastizität können wir in den Gefäßen triggern, indem wir mit Intervalltraining große Stoffwechselreize setzen."
Vorschläge zum Intervalltraining bieten die meisten Gadgets. Einige Hersteller behaupten sogar, ein EKG schreiben zu können – echt jetzt?
Graumann: "Ja, allerdings handelt es sich um eine Momentaufnahme, denn ich muss mit einem Finger einen mechanischen oder physischen Kontakt mit einer anderen Leitfläche herstellen. Das ist gerade dann gut, wenn man sich nicht wohlfühlt, Druck auf der Brust hat oder merkt, dass das Herz stolpert. Dann kann theoretisch ein EKG aufgezeichnet werden, das qualitativ ausreicht, ein Vorhofflimmern zu entdecken. Diese häufige Herzerkrankung zeigt sich immer nur in Episoden, meistens in Ruhe und vor allem gerade dann nicht, wenn ich beim Arzt bin."
Tipp der Redaktion: Du möchtest dein Herz im Blick haben und zu Hause selbst ein EKG schreiben? Bei der neuen HUAWEI WATCH 5 legst du nur einen Finger auf den seitlichen Glassensor und schon läuft der Check von insgesamt 10 Gesundheitsdaten. Eine Minute genügt!
Damit nicht genug, diverse Health-Checker messen die Sauerstoffsättigung – für wen ist das gut?
Graumann: "Für 95 Prozent des Marktes ist dieser Wert sinnfrei. Ich stelle die Funktion an meinem Ring aus, weil sie so viel Akkuleistung kostet. Aber es gibt Menschen mit chronischen Lungenerkrankungen oder nächtlichen Atemaussetzern, bei denen die Sauerstoffsättigung eine Rolle spielt. Und ich habe schon ein Leben über diese Funktion retten können: Normalerweise hätte ich den Mann als Grippepatient abgetan. Irgendwas an ihm gefiel mir aber nicht und ich gab ihm eine Smartwatch aus unserem Leih-Stock mit. Nachts viel die Sauerstoffsättigung ab, er kam ins Krankenhaus und dort wurde eine fiese Herzmuskelentzündung entdeckt."
Wow. Eine Menge Tools versprechen, Stress anzuzeigen. Wie funktioniert das?
Graumann: "Hier geht es zum einen um das Verhältnis der Herzschläge zueinander, also die Herzratenvariabilität, kurz HRV. Je rhythmischer ein Herz schlägt, desto gestresster ist die Person. Bin ich in Ruhe, ist die Varianz größer. Und zum anderen geht es um die Herzfrequenz, also den Puls. Aus dem Wechselspiel zwischen Frequenz und Varianz der Herzschläge zueinander ergibt sich ein Stress-Index, der von jedem Hersteller unterschiedlich eingeordnet wird."
Korrelieren manche Gesundheitsdaten?
Graumann: "Spannend ist, dass ich über den Puls leichte Unverträglichkeiten in der Ernährung ausfindig machen kann. Wenn dein Puls eine Viertelstunde nach dem Essen um bis zu 10 Schläge ansteigt, kann eine Unverträglichkeit vorliegen. Also muss ich überlegen, was das sein kann und diesen möglichen Trigger erstmal weglassen, um im besten Fall eine Verbesserung festzustellen."
Helfen mir Wearables beim Zyklustracking?
Graumann: "Durch eine dauerhafte Körpertemperaturmessung sind die Ergebnisse wesentlich genauer als mit einem Fieberthermometer. Sprich, ich bekomme exaktere Infos zum fertilen Fenster um den Eisprung herum und zum Einsetzen der Periode. Daraus lassen sich wesentliche Erkenntnisse zu zyklusbasiertem Training und zyklusbasierter Ernährung ableiten. Dabei handelt es sich um ein lernendes System, das immer besser wird, je besser ich es mit Daten füttere."
Gibt es Menschen, die diese ganze DIY-Messung nicht brauchen?
Graumann: "Spitzensportler benötigen keine Pulskontrolle mehr, sie wissen ganz genau, was die Pumpe gerade so macht. Und es gibt noch die Personen, die sich von der Persönlichkeitsstruktur durchs Datensammeln und ständiges Feedback verrückt machen lassen. Da sollte lieber ein Experte die Sachen auswerten und der Nutzer sich darauf konzentrieren, ein Körpergefühl zu entwickeln. Technik ist einfach immer auch fehleranfällig."
Wie genau sind Wearable-Ergebnisse im Vergleich zu Arztbefunden?
Graumann: "All diese Geräte müssen zunächst nur sicherstellen, dass sie der Gesundheit keinen Schaden anrichten. Aber sie müssen nicht beweisen, dass sie so genau sind, um sie bei einer Diagnose zurate ziehen zu können. Es gibt nur wenige, die approved sind, und ich berate die Wearable-Hersteller unter anderem dahingehend, es sein zu lassen. Diese Regularien verbrennen nur viel Geld und bringen große Hürden mit sich. Beispielsweise muss eine App bei einer Änderung des Betriebssystems theoretisch neu zertifiziert werden."
Was erwartet uns gesundes Neues?
Graumann: "Ende 2025 wird ein Ring auf den Markt kommen, der den Wasserhaushalt misst. Vermutlich über die Leitfähigkeit der Haut und den Hautwiderstand. Das ist eine gute Funktion, schon bei 2 Prozent Dehydrierung hast du 10 Prozent mehr Cortisol im Blut. Das ist künstlicher Stress, der nicht sein muss. Viele Frauen und Männer sind nicht gut darin, ausreichend zu trinken. Beziehungsweise das richtige zu trinken, mit Elektrolyten bleibt das Wasser im Körper besser hängen."
Ihre Prognose zur Diagnostik der Zukunft lautet?
Graumann: "Damit die Ärzte mit den ganzen Daten überhaupt etwas anfangen können, müssen sie erst einmal dahingehend geschult werden. Dann wird’s ein Miteinander werden, die Krankenkassen motivieren ja schon jetzt dazu, Gadgets zu nutzen und geben diese über Incentive-Programme aus. Aber in jedem Fall müssen wir weiter zum Arzt gehen, manche Untersuchungen sind mit Wearables einfach nicht umsetzbar."
Fazit: Mit Wearables kannst du deine eigene Gesundheit sehr zuverlässig tracken
Ärztinnen und Ärzte werden nicht überflüssig, aber die moderne Technik erleichtert eine zielgenaue und effiziente Gesundheitskontrolle. Wer regelmäßig die eigenen Daten überprüft, erkennt mögliche Warnsignale früher.