Es ist wieder eine dieser Nächte. Du schwitzt, wälzt dich von einer Seite auf die andere und zählst Schafe, bis dir die Zahlen ausgehen. Du wünschst dir endlich eine Erlösung, schnelles Einschlafen auf Knopfdruck. Ob du es mal mit Schlaftabletten versuchen solltest?
Wenn dir das nun bekannt vorkommt, dann sei dir gesagt: Du bist nicht allein. Schlafstörungen sind mittlerweile eine echte Volkskrankheit. Eine, die immer weiter ansteigt. Laut DAK-Gesundheitsreport litt bereits 2017 jede/r zehnte Arbeitnehmer/in an Insomnien. Seit 2010 stetig ansteigend. Dass daneben auch die Schlafmitteleinnahme immer weiter angestiegen ist, ist nicht verwunderlich.
Doch ist das wirklich sinnvoll? Sind Schlaftabletten wirklich ein probates Mittel, um Schlafstörungen zu bekämpfen? Oder musst du dich sogar auf gefährliche Nebenwirkungen einstellen? Wir haben mit Prof. Dr. med. Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Leiter der klinischen Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, gesprochen, um herauszufinden, welche Schlafmittel zur Auswahl stehen, ab wann eine Einnahme Sinn macht und wann es zu gefährlichen Nebenwirkungen kommen kann.
Welche Arten von Schlaftabletten gibt es?
Man unterscheidet zwischen synthetischen und pflanzlichen Schlaftabletten:
Synthetische Schlafmittel sind bis auf wenige Ausnahmen verschreibungspflichtig und gelten als die „herkömmlichen“ Schlafmittel. Synthetisch bedeutet in diesem Zusammenhang zusammengesetzt oder künstlich. Die starke Komprimierung des Wirkstoffes ist also nicht auf natürlichem Wege zustande gekommen.
Pflanzliche Schlafmittel: Schlaffördernde Phytotherapeutika sind rezeptfrei erhältlich und somit auch schwächer als synthetische Schlafmittel. "Sie wirken schlafanstoßend", sagt Prof. Scherer. Heißt im Klartext: Schlaf auslösen werden sie ohne deine Mithilfe nicht. Bei der Einnahme gilt also: Nimm die beruhigende, herunterfahrende Wirkung an und tu dein Nötiges, um zur Ruhe zu kommen. Pflanzliche Schlafmittel gibt es in Form von Kapseln, Tropfen, Tinkturen und Tees.
Hier ein paar Beispiele für beide Varianten:
Synthetische Schlafmittel
1. Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten: "sind über einen Zeitraum von 3 bis 4 Wochen effektiv", sagt Prof. Scherer. Der Experte fährt fort: "Allerdings verschreibe ich diese äußerst selten, da man wegen ihrer suchtfördernden Wirkung ein gutes Vertrauensverhältnis zum Patienten haben muss."
2. Z-Substanzen: wirken im Vergleich sanfter. "Sie haben eine geringere Halbwertszeit, kaum Hangover-Effekte und geringere Auswirkungen auf die morgendliche und psychosoziale Leistungsfähigkeit sowie auf die Fahr- und Arbeitstauglichkeit", so der Experte. Außerdem sollten sie nur an drei frei wählbaren Tagen in der Woche eingenommen werden.
3. Antidepressiva/Antipsychotika: können aufgrund ihrer angstlösenden, beruhigenden Wirkung ebenfalls bei Schlafbeschwerden eingesetzt werden. "Sie sind für eine kurze Therapie effektiv. Die Dosierung ist in der Regel aber deutlich niedriger als bei einer Depressionsbehandlung", erklärt Scherer. Auch Antidepressiva haben im Vergleich zu den Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten den Vorteil des geringen Abhängigkeitspotenzials. Auch der Hangover-Effekt bleibt weitestgehend aus.
4. Melatonin: "ist relativ gering wirksam und wird daher nicht generell zur Behandlung von Insomnie empfohlen", so der Experte. Melatonin gehört zu den nicht-verschreibungspflichtigen Schlafmitteln. Es ist ein Hormon, das der Körper selbst bildet – in der sogenannten Zirbeldrüse, einem Teil des Zwischenhirns. Dein Körper steigert die Melatonin-Produktion bei einbrechender Dunkelheit. Zwischen 2 bis 4 Uhr nachts – also während der so wichtigen Tiefschlafphase – stößt der Körper am meisten Melatonin aus. Künstlich zugeführtes Melatonin soll also dabei helfen, die Ausschüttung zu erhöhen und dich so müder zu machen. Allerdings wird von diesem extern zugeführten Melatonin bereits vieles in der Leber abgebaut, es gelangt also gar nicht so viel ins Blut. Melatonin ist daher nicht unumstritten. Hier gibt's Melatonin-Tabletten.
5. Antihistaminika: Neben Melatonin sind auch Antihistaminika frei verkäuflich. Ursprünglich wurden sie gar nicht für schlaffördernde Zwecke verwendet, sondern um Allergien in Schach zu halten – allen voran Heuschnupfen. Dabei stellte man jedoch fest: Antihistaminika haben als Nebeneffekt einen dämpfenden Effekt auf das Gehirn und machen dadurch müde. Und so wird der Wirkstoff heute auch in Schlaftabletten verkauft. Histamin ist ein Eiweißstoff, der in der Nahrung vorkommt, den der Körper aber auch selbst herstellen kann. Dieser wird vermehrt während des Schlafs abgebaut. Die zwei üblichen Wirkstoffe von Antihistaminika sind Diphenhydramin und Doxylamin. Sie kommen zum Beispiel in den Schlaftabletten Vivinox, Betadorm, Hoggar Night, Halbmond und Schlafsterne vor.
Pflanzliche Schlafmittel
1. Baldrian: wirkt generell beruhigend, wird also nicht nur bei Schlafbeschwerden eingesetzt, auch bei nervösen Störungen und Konzentrationsschwierigkeiten. Der Wirkstoff befindet sich in den ätherischen Ölen der Wurzeln und Rhizomen der Baldrian-Pflanze. Hier bekommst du Baldrian-Tabletten.
2. Hopfen: ist vor allem bekannt für die Verwendung beim Bierbrauen und gehört zu den Hanfgewächsen. Bisher gibt es allerdings keine Studien, die ausschließlich mit Hopfen durchgeführt wurden. In der Regel haben die Wissenschaftler eine Kombination aus Hopfen und Baldrian gewählt, da diese sich gegenseitig ergänzen. Eine Kombination beider Pflanzen kann also sinnvoll sein. Hier gibt's die Kombination aus beidem.
3. Melisse: wird bei Einschlafstörungen verwendet, die nervös bedingt sind. Auch die Melisse ist eine Pflanze, aus deren herzförmigen Blättern die ätherischen Öle entnommen werden. Diese haben einen hemmenden Einfluss auf die GABA-Transaminase. Das ist ein Enzym, das den hemmenden Botenstoff Gamma-Aminobuttersäure (GABA) abbaut, was wiederum beruhigend wirkt. Hier bekommst du Melisse-Kapseln.
4. Passionsblume: blüht zwischen Juni und September. Ihre Substanzen beruhigen das Nervensystem und können so neben Schlafstörungen auch nervöse Unruhezustände verbessern. Hier gibt's Pascoflair-Tabletten.
Wann macht es Sinn, Schlaftabletten einzunehmen?
Die Sinnhaftigkeit eines Einsatzes hängt natürlich von den zugrundeliegenden Problemen ab. Hier der Versuch einer differenzierten Einordnung:
Wann sind synthetische Schlafmittel sinnvoll?
Abgesehen von der Tatsache, dass die meisten synthetische Schlaftabletten verschreibungspflichtig sind, eine Verschreibung also von vornherein der Beurteilung eines Arztes überlassen ist, gilt: Du solltest wegen ein paar schlaflosen Nächten nicht gleich zu Schlaftabletten greifen. "Die Beschwerden müssen mindestens 3-mal pro Woche auftreten und mindestens einen Monat lang vorhanden sein. Erst dann spricht man von einer Schlafstörung", sagt Prof. Scherer.
Aber auch dann sind zuerst andere Vorkehrungen sinnvoll. "Das Herausfinden der Ursache der Schlafstörung steht an erster Stelle", sagt der Experte. Schlafstörungen können auch Ausdruck von verborgenen Erkrankungen sein. "Anschließend sollte man dann versuchen mit individuellen Therapieverfahren wie zum Beispiel der Anpassung der Schlafhygiene (gleichmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus, Verzicht auf blaues Licht vorm Schlafengehen etc.), oder kognitiver Verhaltenstherapie die Schlafstörungen zu beseitigen. Erst wenn all das nicht hilft, können synthetische Schlafmittel verordnet werden", so Scherer.
Bei rezeptfreien synthetischen Schlafmitteln macht eine Einnahme ebenfalls nur bei einer wirklichen Schlafstörung Sinn. Die Einnahme sollte eine Zeitdauer von zwei Wochen nicht überschreiten und mit Maßnahmen der Schlafhygiene kombiniert werden.
Wann sind pflanzliche Schlafmittel sinnvoll?
Hier sieht es etwas anders aus. "Von einer Einnahme pflanzlicher Schlafmittel auf eigene Faust rate ich grundsätzlich nicht ab", so Scherer. Auch hier gilt aber: Du solltest die Ursache für deine Schlafbeschwerden kennen, dann spricht aber nur wenig gegen eine Einnahme pflanzlicher Schlafmittel.
Sie lassen sich zum Beispiel gut in Kombination mit Maßnahmen der Schlafhygiene anwenden. Heißt: sich zum Beispiel einen gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus anzutrainieren, der durch eine Tasse Baldrian-Tee als abendliches Ritual eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen, verinnerlicht werden kann. Diese 8 Produkte können dich dabei unterstützen. Ein weiteres Plus: Es besteht praktisch keine Suchtgefahr. Wenn du also bereits seit einigen Wochen an Schlafbeschwerden leidest, kannst du es ruhig einmal mit Baldrian, Hopfen und dergleichen versuchen.
Was muss ich bei der Einnahme von Schlaftabletten beachten?
Auch hier gibt es wieder Unterschiede je nach Art der Schlafmittel und der Gründe, weswegen du sie einnimmst:
Synthetische Schlafmittel: Hör auf deinen Arzt! Bis auf Melatonin und Antihistaminika bekommst du synthetische Schlaftabletten ohnehin nur durch ein ärztliches Rezept. Generell gilt für die Einnahme aber: "so kurz wie möglich und so gering dosiert wie möglich", so der Experte.
Außerdem sollte die Einnahme nicht mit anderen Medikamenten wie zum Beispiel Schmerzmitteln, kombiniert werden. "Die Wechselwirkung muss beachtet werden", so Scherer. Auch Alkohol ist in dieser Zeit tabu. Übrigens gefährdet Alkohol deinen Schlaf auch ganz generell. Außerdem ist besondere Vorsicht bei Erkrankungen geboten, vor allem an der Leber. Schwangere Frauen sollten in jedem Fall auf Schlaftabletten verzichten.
Und wie sieht es mit rezeptfreien synthetischen Schlaftabletten aus? "Synthetische Schlafmittel sollten ohne Unterbrechung nicht länger als zwei Wochen eingenommen werden“, so Thomas Benkert, Präsident der Bundesapothekerkammer, in einer Pressemitteilung. Auch nicht-verschreibungspflichtige Schlafmittel wirken auf das Zentrale Nervensystem und sind deshalb alles andere als harmlos. Daher ist es auch hier am besten, eine Einnahme mit deinem Arzt zu besprechen, vor allem um mögliche Erkrankungen abzuklären.
Pflanzliche Schlafmittel: Habe etwas Geduld! Wenn du pflanzliche Schlafmittel einnimmst, darfst du nicht erwarten bereits mit der ersten Einnahme eine sofortige Wirkung zu verspüren. Es kann bis zu 4 Wochen dauern, bis sich der Effekt bemerkbar macht. Wenn sich die Schlafbeschwerden dann aber immer noch nicht bessern, solltest du dich an einen Arzt wenden, damit sie sich nicht festsetzen. Außerdem müssen dann potenzielle Erkrankungen abgeklärt werden.
Und denke daran: Du solltest die Einnahme immer mit Maßnahmen der Schlafhygiene kombinieren. Wenn du bis kurz vor dem Schlafengehen aufs Handy starrst, wird auch ein Phytotherapeutikum deinen Schlaf nicht retten. Und noch ein wichtiger Hinweis: Du solltest auch pflanzliche Schlaftabletten nach Besserung deiner Beschwerden wieder absetzen.
Wie wirksam sind Schlaftabletten langfristig?
Die meisten Frauen versprechen sich von Schlaftabletten einen tiefen, erholsamen Schlaf. Nächte, in denen zwischen Augenschließen und Schlaf keine 2 Stunden mehr vergehen. Kurz: nichts weiter als die Erlösung. Kurzfristig können Schlafmittel in Fällen besonders starker Schlafbeschwerden Abhilfe schaffen. Doch können Schlafmittel das auch auf lange Sicht? Echten Qualitätsschlaf auf Knopfdruck? Die Antwort lautet Nein! Zu diesem Schluss kommt eine Studie der britisch-medizinisch Fachzeitschrift "The BJM". Zu erwähnen ist, dass die Wissenschaftler ihren Probandinnen synthetische Schlafmittel verabreichten.
An der Studie nahmen 238 Frauen teil, die wegen ihrer Schlafstörungen Schlafmittel einnahmen. Diese wurden mit 447 Frauen verglichen, die ebenfalls unter ähnlichen Schlafstörungen litten, allerdings keine Schlafmittel einnahmen. Ziel der Studie war es, herauszufinden, wie effektiv die Einnahme von synthetischen Schlafmitteln über einen langen Zeitraum ist. Ergebnis: Es gab keinen signifikanten Unterschied der Schlafqualität beider Gruppen. Kurz: Die langfristige Einnahme von synthetischen Schlaftabletten hat die Schlafqualität nicht deutlich verbessert.
Welche Nebenwirkungen und Gefahren können Schlaftabletten haben?
Nachdem nun geklärt ist, dass eine Einnahme von synthetischen Schlafmitteln über einen langen Zeitraum nicht zu empfehlen ist, stellt sich zurecht die Frage: Wie gefährlich ist die Einnahme überhaupt? Sind unangenehme Nebenwirkungen zu erwarten? Und wie sieht es mit pflanzlichen Schlaftabletten aus?
- Synthetische Schlafmittel können in der Tat einige Nebenwirkungen hervorrufen – auch gefährliche wie etwa Abhängigkeit. Die Nebenwirkungen sind abhängig von der Art des Mittels: "Bei Überdosierung können Antidepressiva kardio- oder lebertoxisch sein, aber auch anticholinerge Nebenwirkungen wie zum Beispiel Mundtrockenheit oder Sehstörungen hervorrufen", warnt Prof. Scherer. Der Experte weiter: "Hangover-Effekte können vor allem bei Benzodiazepinen ein Problem sein." Eine Überdosierung sollte aber unter ärztlicher Aufsicht nicht zustande kommen, zumal die Einnahme immer nur über einige Wochen erfolgt. Zum anderen sind Nebenwirkungen aber auch abhängig von der Person, die sie einnimmt: Bei vorhandenen Krankheiten, wie zum Beispiel Lebererkrankungen kann es ebenfalls zu sehr gefährlichen Komplikationen kommen.
- Pflanzliche Schlafmittel sollten natürlich auch nicht überkonsumiert werden, allerdings passiert das ohne Abweichung von der Packungsbeilage auch nicht. Wenn du dich an sie hältst, sind schlaffördernde Phytotherapeutika ungefährlich, starke Nebenwirkungen sind nicht zu erwarten. Bei Bedenken kannst du vor Ort in einer Apotheke nachfragen und/oder mit deinem Hausarzt über die Einnahme sprechen.
Schlafmittel sind nur kurzfristig die Lösung. Schlafstörungen können viele verschiedene Ursachen haben. Diesen auf den Grund zu gehen, sollte für dich oberste Priorität haben. Auch an eine gute Schlafhygiene solltest du unbedingt denken.