Gesunde Ernährung durch Gedankenkraft

Darmgesundheit steigern
Wie deine Ernährung gesünder wird, indem du nur anders darüber DENKST

Veröffentlicht am 30.11.2023
Gesundes Essen
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Mit Ausnahme von Cocktails ohne Kater gibt es wohl nur wenig verlockendere Vorstellungen, als dass ein schmieriger Cheeseburger plötzlich zu einem Gericht werden kann, das dem Körper guttut. Und während Negronis ohne Kopfweh noch in weiter Ferne liegen, untersuchen Forscher gerade tatsächlich die Wechselwirkung zwischen den Gefühlen, die du beim Verzehr von Lebensmitteln hast, und den körperlichen Reaktionen, die dann folgen.

Besonders aufschlussreich sind hierbei die Hormonproduktion und die Reaktionen in deinem Verdauungstrakt. Der 2022 von Wissenschaftsautor David Robson in seinem gleichnamigen Bestseller als "The Expectation Effect" bezeichnete Effekt bezieht sich auf die Art und Weise, wie deine Gedanken die Fähigkeit haben, körperliche Reaktionen darauf zu verändern. Dieser Erwartungseffekt (oder Placeboeffekt) ist in Bezug auf Krankheiten gut erforscht. Die Rolle, die er in der Ernährung spielen könnte, lässt die Wissenschaft jetzt aufhorchen.

Wie deine Erwartungen deine Sättigung beeinflussen

Du bist skeptisch? Dann wird dich eine Studie der Yale University interessieren. Darin wurde zwei Gruppen von Menschen der exakt gleiche Shake mit 380 Kalorien serviert. Auf dem Etikett für die erste Gruppe stand "620 Kalorien" zusammen mit der Botschaft "Genuss: Dekadenz, die du verdienst"; der Shake der zweiten Gruppe wurde als "SensiShake, für leichten Genuss" deklariert und enthielt laut Etikett nur 140 Kalorien. Als die Forscher die Werte des Hungerhormons Ghrelin der Teilnehmer vor und nach dem Verzehr des Shakes verglichen, stellten sie fest, dass der Ghrelinspiegel in Gruppe 1 nach dem Verzehr des Shakes stärker gesunken war als in Gruppe 2. Was das bedeutet? Sie waren weniger hungrig und verbrannten mehr Kalorien, weil sie einfach glaubten, der Shake würde sie satt machen.

Eine andere Studie untermauert die These, dass die Einstellung zu einem Lebensmittel wichtiger ist als sein eigentlicher Nährwert. Studienteilnehmer, die glaubten, ein Getränk würde sich bei der Verdauung in einen festen Stoff verwandeln, hatten eine langsamere Magenentleerung. Ihr Mageninhalt bewegte sich langsamer durch den Darm und sie fühlten sich länger satt. Infolgedessen nahmen sie im Laufe des Tages 400 Kalorien weniger zu sich als diejenigen, die glaubten, es handele sich um ein normales Getränk. "Im Nachhinein erscheint es verrückt, dass wir die emotionalen Elemente des Essens ignoriert haben und uns ausschließlich auf den reinen Nährstoffgehalt von Lebensmitteln konzentrierten", schreibt David Robson in "The Expectation Effect". Was genau haben wir also verpasst?

Wie dein Bauchgefühl deine Verdauung stört

Ausschlaggebend ist die Darm-Hirn-Achse. Zuletzt machte sie Schlagzeilen wegen der Auswirkungen des Verdauungssystems auf die Stimmung. Die Tatsache, dass 95 Prozent des Serotonins im Darm gebildet werden, ist eine Erklärung dafür, warum ein gesunder Darm für ein glückliches Gemüt sorgt. "Es kann leicht passieren, dass man sich auf die Ernährung konzentriert und vergisst, dass auch das Gehirn einen großen Einfluss auf den Darm hat", erklärt Annie Coombes, Ernährungsberaterin und klinische Leiterin der The Gut Health Clinic in London. "In der Klinik versuchen wir manchmal gar nicht erst, die Ernährung zu ändern, sondern konzentrieren uns stattdessen darauf, die Darm-Hirn-Achse durch Praktiken wie achtsame Meditation zu beeinflussen, um die Darmgesundheit zu verbessern."

Die Darm-Hirn-Achse funktioniert über das sogenannte enterische Nervensystem, ein Geflecht von Neuronen und Nerven, die Signale an den Darm senden. Eines der wichtigsten Signale, die der Körper empfängt, ist das von Stress, der den Sympathikus (Kampf- oder Fluchtmodus) oder sein Schwestersystem, den Parasympathikus (Ruhe und Verdauung), aktivieren kann. "Wenn wir uns im Kampf- oder Fluchtmodus befinden, lenkt unser Körper den Blutfluss vom Darm weg, wodurch die Verdauung gestoppt wird", erklärt Coombes.

Das Ergebnis? Es können Beschwerden wie Verdauungsprobleme, Blähungen bis hin zu Verstopfung oder Durchfall auftreten. Chronischer Stress kann zu einem negativen Gleichgewicht der Bakterien im Darm führen und die Ausschüttung von Verdauungsenzymen, die für die Aufspaltung und Aufnahme der Nahrung verantwortlich sind, stoppen. Nimm zum Beispiel emotionalen Stress: Eine klinische Studie ergab, dass Menschen in unglücklichen Ehen eine höhere Darmdurchlässigkeit aufweisen. Da Darmpermeabilität bedeutet, dass die Darmwände schwächer werden und Nährstoffe und Bakterien austreten können, kann sich dies auf die Nährstoffe aus der Nahrung auswirken.

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Wie Essen durch bloßes daran Denken unverträglich wird

Die Schlussfolgerung? Die meisten Lebensmittelunverträglichkeiten sind zwar echt, aber die Sorge, welche Auswirkungen bestimmte Lebensmittel auf dich haben könnten, kann das Unbehagen noch verschlimmern.

In einer italienischen Studie, die 2012 in der Alimentary Pharmacology & Therapeutics erschien, gaben Forschende 102 Probanden und Probandinnen, die glaubten, an einer Lactoseintoleranz zu leiden, 15 g Milch, bevor sie sich einem Atemtest unterzogen, der die Lactosemalabsorption diagnostiziert und ihre Symptome überwacht. Während 29 Prozent Symptome einer Intoleranz aufwiesen, hatte hier jedoch niemand wirklich eine Lactosemalabsorption, was die Forscher zu der Schlussfolgerung veranlasste, dass der bloße Glaube daran, dass etwas Unwohlsein verursacht, ausreicht, um Symptome hervorzurufen.

Wie du dein Essen gesünder denkst

Was bedeutet das alles nun für die Ernährung? Zunächst einmal warnen alle Experten, mit denen wir für diesen Artikel gesprochen haben, davor, sich selbst glauben machen zu wollen, dass kalorienarme Lebensmittel tatsächlich satt machen. "Der Versuch, den Körper auszutricksen, ist keine sehr mitfühlende Art, mit sich selbst umzugehen, und dies kann ein Risiko für Essstörungen erhöhen", warnt Dr. Naomi Middleton, eine klinische Psychologin mit Schwerpunkt Gastroenterologie. "Es gibt die Vorstellung, dass gesund zu sein gleichbedeutend damit ist, dünn zu sein. Und dass Lebensmittel nur dann gesund sind, wenn sie wenig Kalorien haben", erklärt Dr. Middleton, die vor diesem Ansatz warnt. Der Versuch, sich auf diese Weise zu ernähren, kann zu einem Gefühl der Einschränkung führen, während die verbotenen Lebensmittel appetitlicher und begehrenswerter werden.

Welches ist aber ein besserer Weg? Ein guter Anfang ist es, die Etiketten, die du den Lebensmitteln unbewusst zugewiesen hast, umzuschreiben und sich nicht darauf zu konzentrieren, ob ein Lebensmittel "gut" oder "schlecht" ist, sondern darauf, was es dir gibt. "Das Beste, was man tun kann, ist, sich zu überlegen, wie Essen einen nähren kann, anstatt sich zu bestrafen", betont Emilia Thompson, Ernährungsberaterin, Coach für Essstörungen und Meditationslehrerin.

Warum du durch Genuss schneller satt wirst

Thompson empfiehlt, sich auf den Genuss zu konzentrieren, den man aus der Zubereitung der Speisen ziehen kann, da Genuss mit einem niedrigeren Ghrelinspiegel verbunden ist (weniger Ghrelin bedeutet weniger Hunger). Du machst einen Salat? Gib einen Schuss deines Lieblingsöls hinein, um den Geschmack zu verstärken, und füge ein paar leckere Beilagen hinzu, um die Textur zu verbessern.

Beides ist wichtig, bekräftigt auch David Robson. Geschmack und Konsistenz tragen dazu bei, ein Gefühl des Genusses zu erzeugen, das die Sättigung erhöht und deine hormonelle Reaktion auf das Essen verstärkt. "Wie bei jeder Änderung der Essgewohnheiten ist auch dies nicht einfach. Aber wir haben es selbst in der Hand, welche Geschichten wir uns über das Essen erzählen", so Dr. Thompson. "Wir können uns also darauf besinnen, wie viel Glück wir haben, dass wir den Zugang zu vielfältigen Lebensmitteln haben und das Privileg besitzen, selbst zu entscheiden, was wir essen."

Die Quintessenz? Was satt macht und gute Gefühle beim Essen auslöst, ist ein verworrenes Geflecht, bei dem alles – von der Kultur, in der wir aufgewachsen sind, bis hin zu unserer Art zu kochen – die Nährstoffe beeinflusst, die wir aus den Lebensmitteln gewinnen. Aber die Idee, dass die Optimierung der Gesundheit nicht nur davon abhängt, was wir essen, sondern auch davon, wie wir uns dabei fühlen, ist ermutigend. Lebensmittel also mit Bedacht auszuwählen und sie zukünftig nicht in "gute" und "schlechte" Schubladen zu stecken, ist ein guter Schritt zu gesunder Ernährung.

Wie das Umprogrammieren deiner Ernährung gelingt: 4 Tipps

Was in der Theorie sehr schlau klingt, ist praktisch oft schwer umzusetzen. Mit diesen Tipps denkst du dir dein Essen gesünder.

1. Greif zu fester Nahrung

In einer Studie über Appetit wurde festgestellt, dass ein Apfel das Sättigungsgefühl stärker fördert als Apfelmus oder Saft. Obwohl Getränke sättigen, halte dich besser an Lebensmittel, die du kauen kannst.

2. Setze Gewürze ein

Geschmack ist der Schlüssel zur Sättigung. Die Verdoppelung der Geschmackserfahrung kann die spontane Nahrungsaufnahme um bis zu 35 Prozent reduzieren. Setze auf Chili, frische Kräuter oder Umami-Miso.

3. Atme in den Bauch

Die Aktivierung des sympathischen Nervensystems vor dem Essen kann die Verdauung und die Nährstoffaufnahme verbessern. Versuche tiefe Atemzüge, bei denen sich der Bauch hebt und der Brustkorb ruhig bleibt.

4. Versuche, länger zu kauen

Wer gestresst ist, kaut weniger. Da 30 Prozent der Stärke im Mund verdaut werden, verpasst man diese Phase beim Schlingen. 40-maliges Kauen führt zu einer um 15 Prozent besseren Nährstoffaufnahme als 10-maliges.

Deine Gedanken können körperliche Reaktionen auf Lebensmittel oder Mahlzeiten verändern. Ausschlaggebend dafür ist die Darm-Hirn-Achse. Das heißt nicht, dass du jetzt massig kalorienarme Lebensmittel zu dir nimmst und dir einredest, das wäre gesund. Es gilt: Bestrafe dich nicht, indem du auf etwas verzichtest, sondern konzentriere dich auf den Genuss. Denn der erhöht die Sättigung, wodurch du weniger hungrig bist.

Erwähnte Quellen:

Crum AJ, Corbin WR, Brownell KD, Salovey P. Mind over milkshakes: mindsets, not just nutrients, determine ghrelin response. Health Psychol. 2011 Jul;30(4):424-9; discussion 430-1. doi: 10.1037/a0023467

Tomba C, Baldassarri A, Coletta M, Cesana BM, Basilisco G. Is the subjective perception of lactose intolerance influenced by the psychological profile? Aliment Pharmacol Ther. 2012 Oct;36(7):660-9. doi: 10.1111/apt.12006

Kiecolt-Glaser JK, Wilson SJ, Madison A. Marriage and Gut (Microbiome) Feelings: Tracing Novel Dyadic Pathways to Accelerated Aging. Psychosom Med. 2019 Oct;81(8):704-710. doi: 10.1097/PSY.0000000000000647