Werbung möchte uns weismachen, dass alle Kühe auf saftigen Wiesen grasen und eine Bäuerin zu Sonnenaufgang mit der Milchkanne zum Melken kommt. In der Realität sehen viele Tiere während ihres ganzen Lebens kein Sonnenlicht, können sich im Stall nicht richtig bewegen und bekommen kein artgerechtes Futter. Das schadet nicht nur den Kühen, sondern wirkt sich auch auf die Qualität der Milch aus – mit Folgen für uns.
"Naturprodukt" Milch? Von wegen!
Etliche Sorten Milch buhlen im Supermarkt um unsere Gunst. Ihr einziger gemeinsamer Nenner ist die Farbe. Die Zusammensetzung schwankt so stark wie bei keinem anderen Lebensmittel. Zwar gibt jede Kuh Milch, aber wie gut die ist, hängt von Futter, Haltung, Haltbarmachung und vielem mehr ab. Als vor 100 Jahren alle Kühe 10 Stunden täglich grasend auf der Weide verbrachten, war Milch ein völlig anderes Lebensmittel: Sie hatte erst wenige Stunden vor dem Verzehr das Euter verlassen, einen natürlichen Fettgehalt und wurde dick, wenn sie nicht schnell verbraucht wurde. Daran hat sich viel geändert.
95 Prozent der produzierten Milch stammen aus konventioneller Massentierhaltung. Durchschnittlich 50 bis 100 Tiere pro Hof stehen Box an Box auf jeweils etwa 4,5 Quadratmetern und sehen häufig nie das Tageslicht. Bis zu 40 Liter produziert eine speziell gezüchtete Milchkuh pro Tag. Zum Vergleich: Früher waren es etwa 8 Liter – so viel, wie ein Kälbchen braucht. Züchtung und die Fütterung mit Silage und proteinreichem Soja-, Erbsen oder Bohnenschrot machen diesen Mengenunterschied möglich. Ein Naturprodukt ist Milch schon lange nicht mehr. Und die Milch, für die wir uns im Supermarkt entscheiden, ist immer nur so gut oder schlecht, wie die Art der Tierhaltung es ermöglicht.

Das steckt wirklich in Kuhmilch
Von Kindheit an wird uns eingebläut, dass Milch gut für die Knochen ist, uns groß und stark macht. Das ergibt Sinn: Muttermilch ist die erste und beste Nahrung, die ein Säugling bekommen kann. Und verglichen damit, enthält Kuhmilch 3-mal so viel Protein, mehr kurzkettige Fettsäuren sowie Kalzium, Jod, Phosphat und die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K. In Milch steckt also jede Menge Gutes. „Kühe sind Wiederkäuer und können für uns ernährungsphysiologisch wertloses Gras in Proteine und wertvolle Fettsäuren umwandeln“, erklärt Gerhard Jahreis, Professor für Ernährungsphysiologie an der Universität Jena. „Eine Milch von Tieren, die ohne Bewegung und Sonne und mit Kraftfutter statt Gras erzeugt wurde, ist jedoch qualitativ deutlich schlechter.“ Der Grund: Nur die Milch von Tieren, die weiden, enthält viele wertvolle Omega-3-Fettsäuren, die vor Herzrhythmusstörungen schützen und die Blutfette senken. Zudem steckt konjugierte Linolsäure (CLA) drin, die zu den gesündesten Fettsäuren überhaupt gehört und ähnlich gesundheitsfördernd wirken soll. Industriemilch hingegen enthält hauptsächlich gesättigte Fettsäuren und sogar Transfette, die im Verdacht stehen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu begünstigen.
Auch das Verfahren, mit der Milch haltbar gemacht wird, beeinflusst die Qualität maßgeblich: „Besonders unnatürlich ist H-Milch“, erklärt Dr. Christian Kessler, der am Immanuel Krankenhaus in Berlin im Rahmen der klinischen Naturheilkunde zum Thema forscht. Sie wird ultrahoch erhitzt, das bedeutet für wenige Sekunden auf 150 Grad, das verändert die Eiweißstruktur und damit den Geschmack und vernichtet bis zu 20 Prozent der Vitamine. „Das Endprodukt ist eine vitalstoffarme Flüssigkeit, die mit dem Naturprodukt sehr wenig zu tun hat“, kritisiert Kessler. Übrigens: Auch Frischmilch wird immer häufiger so behandelt, dass sie länger im Kühlregal stehen bleiben kann. Für 10 bis 15 Sekunden wird die sogenannte ESL-Milch (Abkürzung für „extended shelf life“) auf 127 Grad Celsius erhitzt. Auch durch dieses Verfahren und die längere Lagerung im Kühlregal – die Haltbarkeit beträgt 3 Wochen – gehen Vitamine verloren, allerdings bezeichnen Forscher diesen Verlust als geringfügig.
Laut Gesetz ist übrigens keine gesonderte Kennzeichnung für solche Milch erforderlich. Die Hersteller haben sich im Jahr 2009 aber selbst dazu verpflichtet, klassisch pasteurisierte Milch mit „traditionell hergestellt“ und ESL-Milch mit „maxifrisch“, „länger haltbar“ oder „extra langer Frischegenuss“ zu kennzeichnen.

Nicht jeder verträgt Milch
Milch schlägt vielen auf den Magen. Das liegt am enthaltenen Milchzucker, der Laktose. Rund 15 Prozent der Deutschen können diesen Milchbestandteil nicht verdauen. Er verursacht bei ihnen Bauchschmerzen und Durchfall. Weltweit leiden sogar mehr als 75 Prozent an der Unverträglichkeit. Grund ist ein Mangel des Enzyms Laktase, das den Milchzucker spaltet und das im Laufe des Lebens immer weniger vom Körper produziert wird. Evolutionär betrachtet ist dies durchaus sinnvoll, denn nach dem Säuglingsalter kann der Mensch auf andere Energiequellen zurückgreifen und benötigt den Milchzucker als solchen nicht mehr. Je älter man wird, desto schlechter wird er vertragen. Auch eine Kuh gibt ja eigentlich nur solange Milch, bis das Kalb anfängt Gras zu fressen. „Milch ist naturgemäß für Heranwachsende gedacht, deshalb sollte man seinen Konsum mit steigendem Alter überdenken“, rät Kessler. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Milch für gesunde Erwachsene weiterhin – allerdings in Maßen. „Pro Tag sollten etwa 200 bis 250 Gramm fettarme Milchprodukte und 50 bis 60 Gramm fettarmer Käse auf dem Speiseplan stehen“, sagt die Pressesprecherin Antje Gahl.
Die Gefahr von Hormonen in Kuhmilch
Damit der Milchfluss nicht abreißt, wird di Kuh kurz nach dem Kalben wieder geschwängert, was dazu führt, dass der Östrogengehalt der Milch 33-mal und der Progesterongehalt 10-mal höher ist als bei einer nicht trächtigen Kuh. All dies landet beim Trinken in unserem Körper und wird speziell bei Frauen vermehrt mit Brustkrebs in Verbindung gebracht, wie eine Studie der Harvard University kürzlich ergab. Die Wachstumshormone spielen hierbei eine Rolle, speziell der IGF1, der insulinähnliche Wachstumsfaktor. Der verursacht zwar den Krebs nicht, entfacht aber das Zellwachstum von vorhandenen Tumoren. Das Bundesinstitut für Risikobewertung gibt Entwarnung: „Wer Milch oder Milchprodukte in normalen Mengen zu sich nimmt, muss keine gesundheitlichen Risiken fürchten“, sagt Pressesprecher Jürgen Thier-Kundke.
Andere Studien zeigen sogar, dass etwa das Darmkrebsrisiko mit moderatem Milchkonsum leicht abnimmt. „Speziell bei der Entstehung von Krebs spielen sehr viele Faktoren eine Rolle, sodass niemals nur Milch- oder Milchprodukte dafür verantwortlich gemacht werden können“, erklärt Experte Kessler.

Milch geht auf die Knochen
Milch enthält viel Kalzium, den Baustein für Knochen und Zähne. Das macht die Knochen stark, oder? Zurzeit kommt diese Wahrheit kräftig ins Wanken. Nicht nur, dass Osteoporose (und übrigens auch Übergewicht, Diabetes oder Krebs) in westlichen Ländern, in denen lebenslang viel Milch konsumiert wird, häufiger vorkommt als etwa in ostasiatischen Ländern, in denen regelmäßiger Milchkonsum bei Erwachsenen sehr selten ist.
Neue Zweifel weckt auch eine aktuelle Studie der Universität Uppsala in Schweden, die mehr als 60 000 Frauen über 20 Jahre lang begleitet hat. Milchkonsum hat demnach keinen positiven Einfluss auf die Knochen, im Gegenteil. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass er speziell bei Frauen Osteoporose sogar begünstigt. Zudem stieg bei den Frauen mit einer Zunahme des Milchkonsums das Sterberisiko. 3 bis 4 Gläser (680 Milliliter) täglich führten zu einem 93 Prozent erhöhten Sterberisiko.
Wer trinkt schon so viel, denken Sie jetzt vielleicht. Eine kleine Rechnung: Wer morgens mit einer Schale Müsli beginnt und dann im Laufe des Tages 2 Latte Macchiato schlürft, hat diese Menge schon erreicht. Die Forscher haben übrigens den Zuckerbaustein Galaktose im Verdacht, für die unerwünschte Wirkung verantwortlich zu sein. Er bildet zusammen mit Glukose den Milchzucker Laktose. Das Galaktose-Molekül führe im Körper zu Entzündungsreaktionen und oxidativem Stress, so folgern die Wissenschaftler. Und diese Kombi ist der Anfang für Krankheiten: Knochenschwund, aber auch Bluthochdruck, Arteriosklerose, Diabetes – die Liste ist lang. Im Tierexperiment wirkte schon eine Dosis von 100 Milligramm pro Kilogramm negativ, das entspricht 2 Gläsern Milch pro Tag. „Die Ergebnisse sind wichtige Anhaltspunkte, dass Milch nicht mehr vorbehaltlos empfehlenswert ist“, konstatiert Experte Kessler. „Allerdings muss jetzt intensiv weitergeforscht werden, um die Thesen auch zu beweisen.“ Das sehen auch die schwedischen Forscher so. Die Ergebnisse ihrer Studie reichten noch nicht aus, um Ernährungsempfehlungen zu geben. Ebenso die DGE: „Die aktuelle Datenlage gibt keinen Anlass, die Empfehlungen für Milch zu ändern.“
Und was soll ich jetzt trinken?
Bedeutet das alles nun, dass Sie auf Milch verzichten sollten? Nein. Aber wie bei Zucker und Fleisch gilt: Die Dosis macht das Gift. In kleineren Mengen ist Milch ein wichtiger Nährstofflieferant – wenn es denn die richtige ist: Laboruntersuchungen des Ernährungsexperten Jahreis, bei denen er die Milch auf ihr Qualitätsmerkmal, die Fettsäuren, untersuchte, zeigen: Biomilch schneidet deutlich besser ab als konventionelle, da die Fütterung und Haltung artgerechter ist. Aber auch hier gibt es noch große Unterschiede. Zwar ist die schlechteste Biomilch immer noch empfehlenswerter als die beste „Industriemilch“. Wer seinem Körper aber etwas Gutes tun will, sollte zu Milch von Kühen aus Weidehaltung greifen, also zum Beispiel zu Alpenmilch oder irischer Weidemilch. Denn die überzeugt ganz natürlich – anders als das Produkt, das vom Unternehmen Coca-Cola im Dezember vergangenen Jahres in den Vereinigten Staaten auf den Markt gebracht wurde: eine nicht ganz günstige laktosefreie, zuckerreduzierte Milch mit 50 Prozent mehr Protein und Kalzium. Immerhin: Die Farbe ist weiß geblieben.

Alternativen zu Kuhmilch
Mandelmilch
Enthält teilweise nur die Hälfte der Kalorien von fettarmer Kuhmilch. Reich an Vitamin E, schmeckt leicht nussig mit einem Hauch Süße.
Reismilch
Kein Unterschied im Kaloriengehalt, schmeckt aber sehr viel süßer und erinnert an Milchreis. Enthält kaum gesättigtes Fett, auch als Reissahne erhältlich.
Hafermilch
Gleicher Kaloriengehalt, aber kräftiger und herber im Geschmack. Auch mit Sahnealternative.
Sojamilch
Gängigste und umstrittenste Alternative, kann ebenfalls Allergien hervorrufen. Leicht reduzierter Kaloriengehalt, eiweißreicher als Kuhmilch, oftmals mit Kalziumzusatz.