Gesunde Snacks: Gibt es sie oder nicht?

Snack-Problem
Alle essen nur noch Snacks – kann das gesund sein?

Veröffentlicht am 30.04.2024
Das sind die beliebtesten Nusssorten
Foto: Julia Sudnitskaya / Shutterstock.com

Erdnüsse, Kakao, Zucker: Dass diese Kombination der Beginn einer der größten Erfolgsgeschichten werden würde, konnte sich Franklin Mars 1930 vermutlich noch nicht ausmalen, als sein Unternehmen Mar-O-Bar den bis heute weltweit beliebtesten Schokoriegel erfand: Snickers. Bis 1937 gesellten sich Mars-Riegel, Maltesers, KitKat und Smarties in den Supermarktregalen dazu.

Für alle, deren Herz eher beim Rascheln einer Chipstüte höherschlägt, beginnt die Geschichte zumindest hierzulande etwas später, als 1962 die ersten Kartoffelchips in Deutschland von Chio produziert wurden. Doch so wie es nie bei einer Handvoll Chips bleibt, blieb es auch nicht bei Chio. Es folgte 1967 goldfischli, 1968 wurde chipsfrisch gegründet, die 1972 auch an der Gründung von funny-frisch beteiligt waren. Viele Weitere sollten folgen.

Ein goldenes Jahrhundert für Naschkatzen – und der Erfolg scheint nicht abzureißen. Auch heute noch sind Snickers, Smarties und Co. in jedem Supermarkt unverzichtbar. Warum sind Snacks nur so verführerisch? Dazu haben wir ein paar renommierte Experten befragt. Stell dir ein paar Snacks parat, das wird ein längerer Ritt. Ob du sie danach noch aufessen willst? Das können wir nicht garantieren.

Die Snack-Welle rollt, ist längst eine Flut

Die Snack-Regale in den Supermärkten werden immer länger, und das Sortiment wird immer breiter, denn in den letzten Jahren gesellten sich zu den Klassikern zahlreiche innovative Produkte hinzu. Proteinriegel und Rote-Bete-Chips, Quinoa-Puffs, Saftshots und Smoothies – der Trend geht zum gesunden Naschen. Was auch immer das heißen mag.

Sogenannte Raw Bars, die aus getrockneten Früchten und Nüssen bestehen, werben mit ihrer Natürlichkeit, und wer die Muße hat, kann sich seine kleinen Happen für zwischendurch auch selbst backen. An Rezeptbüchern und Blogeinträgen dazu mangelt es wahrlich nicht. Diese Vielfalt ist Teil des Erfolgsrezeptes, denn beim Snacking kann jeder Mensch etwas für sich finden. Alles ist erlaubt: sauer, salzig oder süß, Marshmallow-weich oder knuspernd-knackig. Einzig allein eine Sache steht nicht zur Debatte: Wer beim Geschmack Kompromisse zugunsten anderer Faktoren eingeht, wird keinen Verkaufsschlager produzieren.

Der kleine Hunger braucht viele kleine Mahlzeiten, oder?

Auffallend ist, dass es zu Riegeln und Co. ein ungefähres Entstehungsdatum gibt, anders als bei traditionellen Gerichten wie beispielsweise Knödeln. Der Grund dafür ist klar: Snacks wurden von Firmen entwickelt. Wenn man nun bedenkt, dass so ziemlich jeder nennenswerte Snack im letzten Jahrhundert erfunden wurde, fragt man sich, was wohl früher genascht wurde.

"Im 19. Jahrhundert gab es so etwas wie Snacks nicht", erklärt der Ernährungswissenschaftler Professor Barry M. Popkin von der Gillings School of Global Public Health, North Carolina. Es scheint, als wäre die größte Erfindung von allen das Naschen selbst – wenn auch aus gesundheitlicher Sicht sicher nicht unbedingt die großartigste Idee. Straßenstände und Imbissbuden gibt es zwar schon seit Langem, doch Snacks im heutigen Sinne sind ein relativ neues Phänomen. "Insgesamt kam es zu einer Ernährungsumstellung, bei der viele Länder von Vollwertkost auf stark verarbeitete Kost umstiegen", erklärt Professor Popkin. Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation zeigen die Konsequenzen dieses Wandels. Weltweit kam es seit 1975 zu einer knappen Verdreifachung von Menschen mit Fettleibigkeit.

Überraschend ist, dass wohl nicht die große Eistüte mit Schokotopping an sich das Problem ist, sondern das Naschen nebenher. "Erst in den 1970er-Jahren wurden Zwischenmahlzeiten populär. Ausgehend von einkommensstarken Ländern wie den USA oder Großbritannien hat sich diese Gewohnheit mittlerweile global verbreitet", so Popkin. "Der starke Anstieg der Kalorienzufuhr pro Mensch und Tag lässt sich mit einer gesteigerten Zahl von Mahlzeiten erklären." Es gibt eine begrenzte Kalorienanzahl, die man beim Frühstück, Mittag- oder Abendessen zu sich nehmen kann. Sollen aber von der Industrie nun mehr Lebensmittel verkauft werden, müssen eben häufigere Mahlzeiten populär gemacht werden. Wie gut das funktioniert hat, zeigt eine von Professor Popkin geleitete Untersuchung zu Ernährungsgewohnheiten; In den späten 1970er-Jahren nahmen Kinder etwa 244 Kalorien als Zwischenmahlzeit zu sich. Diese Zahl hatte sich jedoch bis Mitte der 2000er-Jahre mehr als verdoppelt auf 496 Kalorien. Dabei blieb die zu den Hauptmahlzeiten verzehrte Menge unverändert.

Mittlerweile hat sich unsere Esskultur so gewandelt, dass es schwieriger wird, einzelne Mahlzeiten klar abzugrenzen. Barry M. Popkin berichtet von seiner Studie im Jahr 2010: "40 Prozent der Menschen aßen so häufig, dass der natürliche Hunger-Sättigungs-Mechanismus außer Kraft gesetzt wurde: Essen ist nicht länger nur eine Folge von Hunger. Das führt langfristig zu Fettleibigkeit." Die Studie wurde zwar in den USA durchgeführt, aber er fügt hinzu: "Das passiert in vielen Ländern – auch in Europa."

Snacks werden ganz nebenbei gegessen, und doch zum Hauptproblem

Naschen ist so selbstverständlich geworden, dass es oft nahezu unbemerkt abläuft. Man kann zwar die abendliche Tafel Schokolade kaum übersehen, aber dafür kann der Griff zum Proteinriegel beim Sport eher nebenbei passieren und das Kleinerwerden des Stücks Parmesan beim Kochen quasi unbemerkt ablaufen. Auch der Muffin, der unterwegs noch schnell verdrückt wird, oder die paar Salzstangen, die während des E-Mailschreibens in den Mund wandern, können beim Kalorienbilanzziehen des Tages schon mal in Vergessenheit geraten.

Besonders problematisch ist, dass auch schon die Kleinsten auf den Geschmack gebracht werden und sich an eine ständige Nahrungszufuhr gewöhnen. Für den Spielplatz bewaffnen sich Eltern mit Keksen, Apfelschnitzen oder Brezeln und wenn die Kinder aus der Schule abgeholt werden, warten schon Bananen oder Smoothies auf dem Beifahrersitz.

Dabei steht nicht unbedingt die Ernährung im Vordergrund. Vielmehr wird Essen hier oft als einfaches Mittel zur Verhaltenskontrolle genutzt. Snacks können zur Belohnung oder Beruhigung genutzt werden, weil "er sonst unausstehlich wird" oder "sie eine kleine Aufmunterung nach der Schule braucht". Da Menschen sehr defensiv sind, wenn es um Gewohnheiten geht, setzt man sich nur ungern mit deren negativen Seiten auseinander. Hinzu kommt, dass wir die kleinen Mahlzeiten mit schönen Kindheitserinnerungen verbinden. Man denke nur an Roald Dahls Willy Wonka, der als Kind keine Süßigkeiten essen durfte und aus dieser düsteren Kindheit heraus ein Nasch-Imperium begründet. Niemand möchte seinem Kind ein solch traumatisches Erlebnis zufügen oder es benachteiligen, wenn andere Kinder eine kleine Aufmerksamkeit in Form von Essen bekommen.

Der Job ist ein verbrauchsintensiver Snack-Motor

Auch Veränderungen der Arbeitswelt beeinflussen das Essverhalten. Deutlich wird das zum Beispiel bei Berufsgruppen, die im Schichtdienst arbeiten. Sie sind laut Statistik zunehmend übergewichtig. Ein zu hohes Arbeitspensum mit unregelmäßigen Abläufen macht eine angemessene Ernährung eben schwierig. Klassische 8-Stunden-Schichten und eine geregelte Mittagspause sind schon lange nicht mehr der Normalfall. Um sich dennoch bei Laune und Kräften zu halten, muss dann während der Arbeit eine Kleinigkeit aus dem Snack-Automaten her.

Auch in Start-ups sind lange Arbeitszeiten üblich. Das erklärt teilweise auch, warum gerade hier Obstkörbe und ausgefallene Naschboxen praktisch schon zu den Must-haves der Büroausstattung gehören. Dafür gibt es sogar spezielle Lieferabonnements, die für regelmäßigen Nachschub sorgen. Egal in welchem Bereich des täglichen Lebens, Veränderungen wie diese lassen sich überall beobachten und tragen eindeutig dazu bei, dass die so genannte Snackifizierung unserer Gesellschaft weiter fortschreitet.

Die Snack-Hersteller reagieren schnell und flexibel

Gleichzeitig steigt auch das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung und allein der Gedanke daran, täglich Schokoriegel oder Gummibären zu essen, bereitet vielen Menschen Bauchschmerzen. Deshalb tendieren aktuelle Snacktrends auch alle in eine Richtung. Proteinkugeln und Nussmischungen statt Snickers, Knoppers und Lakritzschnecken sollen den Zwischenmahlzeiten eine gesündere Note verleihen. Es scheint sich jedoch weniger um ein Ersetzen als vielmehr um ein Ergänzen zu handeln, wie der weiterhin anhaltende Erfolg der Snack-Klassiker und Kalorienbomben andeutet.

Hinzu kommt: Ein "Snack" kann vieles sein. Die einen verwenden das Wort als Synonym für industriell hergestellte Junkfood-Produkte. Für andere umfasst der Begriff alles, was zwischen den Mahlzeiten gegessen wird. Diese Unklarheiten erschweren nicht nur die Kommunikation (Was genau bringt man mit, wenn Kollegen nach Snacks fragen?), sondern auch die wissenschaftliche Forschung.

Klar gibt es zahlreiche Beweise dafür, dass Naschen weniger der Ernährung dienen soll, sondern eher aus Gewohnheit, zur Belohnung oder als Lückenfüller benutzt wird. Wie schädlich jedoch Essen zwischen den Mahlzeiten genau ist, lässt sich nicht pauschal sagen. Die Beziehung zwischen der Häufigkeit der Mahlzeiten, Gewichtsdynamik, Insulinresistenz und Lipidprofil ist kompliziert; die Forschung dazu kostspielig und zeitaufwändig. Dazu kommt erschwerend, dass die meisten ernährungswissenschaftlichen Untersuchungen von großen Lebensmittelunternehmen finanziert werden.

Wer der Snack-Falle entkommen will, muss den Hunger genau prüfen

Manchmal verschwimmen die Grenzen zwischen Snack und Mahlzeit auch: Ein Apfel kann als Snack oder als Nachtisch gegessen werden; eine Tüte Cracker kann zum Mittagessen oder als Mittagessen gegessen werden. Aber kann sich denn ein und dasselbe Nahrungsmittel je nachdem, wann man es zu sich nimmt, unterschiedlich auf die Gesundheit auswirken?

Dr. Maximilian Schubert, medizinischer Leiter des Vivamayr-Sanatoriums in Altaussee, Österreich, positioniert sich hier ganz klar: "Einen Abstand von 4 bis 5 Stunden zwischen den Mahlzeiten benötigt der Verdauungsapparat, um optimal arbeiten zu können." Er erklärt: "Das Problem bei zu häufigem Essen ist, dass sich vorverdaute Nahrung und frische Nahrung im Magen vermischen. Sie werden nicht perfekt aufbereitet an den Darm weitergegeben und verursachen dadurch eine schlechte Verdauung." Der Experte spricht sich außerdem dagegen aus, das Zwischendurch-Twix um 16 Uhr durch einen Apfel zu ersetzen. "Ich kann keine gesundheitlichen Ratschläge zu einer ungesunden Gewohnheit geben. Meine Empfehlung ist, Wasser oder Tee zu trinken, statt zu naschen. Oft wird auch aufkommender Durst zwischen den Mahlzeiten als Hunger fehlinterpretiert."

Snacken ist international, aber dann auch wieder nicht

Um das ganze Thema nun noch etwas komplizierter (aber auch vollständiger) zu machen, bleibt zu sagen, dass jedes Land eine etwas unterschiedliche Naschkultur hat. In Frankreich gilt der Verzicht auf Zwischenmahlzeiten als ein Grund dafür, dass nur 14 Prozent der Bevölkerung übergewichtig ist (in den USA sind es fast doppelt so viele). In Schweden dagegen gibt es eine traditionelle Nachmittagspause mit Kaffee und Kuchen. Diese sogenannte Fika stammt noch aus Zeiten von 16-Stunden-Tagen auf dem Feld, als 5 oder 6 Mahlzeiten nötig waren, um den täglichen Bedarf zu decken.

Auch in Indien sind kleine Mahlzeiten üblich. Samosas, Bhajis und Rotis sind Teil einer lebhaften Streetfood-Kultur. In Spanien gibt es ebenfalls eine Nachmittagspause, die Merienda. Diese Traditionen verlieren aber wohl auch nach und nach an Aktualität und werden weltweit durch ein gesteigertes Snackverhalten über den ganzen Tag hinweg abgelöst.

Professor Popkins fand heraus, dass sich in der Historie nationale Unterschiede jeweils verringerten, sobald große Nahrungsmittelfirmen auf den Plan traten. "Seit 1989 forschen wir in China. Anfangs naschten die Menschen dort nicht. Dann begannen sie mit Obst als kleinen Zwischenmahlzeiten. Mittlerweile unterscheidet sich das Snack-Verhalten kaum von dem in den USA oder anderen westlichen Ländern. Es kam zu einer Art globaler Verschmelzung." Egal, ob beim Straßenverkauf in Indien oder im französischen Supermarkt – KitKat wird überall gleichermaßen verkauft.

Wie gelingt es, die Macht der Gewohnheit zu brechen?

Einen Ausweg aus dem Snack-Dilemma können laut Ernährungswissenschaftler Popkin wohl nur regulierende Maßnahmen wie eine Zuckersteuer schaffen. In Chile, bis vor Kurzem der weltweit führende Pro-Kopf-Verbraucher von zuckerhaltigen Limonaden, reichen die Interventionen sogar noch deutlich weiter als das. Im Jahr 2016 schränkte das Land die Werbung für Junkfood für Kinder ein, verbot ungesundes Essen an Schulen und führte – ähnlich wie bei Zigarettenpackungen – auffällige Warnhinweise auf Lebensmitteln mit hohem Zucker-, Salz- und Fettgehalt ein. Der Konsum von zuckerhaltigen Getränken sank im ersten Jahr nach der Umsetzung dieser Maßnahmen um etwa ein Viertel; jede andere Sorte Junkfood ging um 10–15 Prozent zurück. Ob Deutschland irgendwann dem Beispiel anderer Länder mit einer Zuckersteuer folgen wird, ist unklar.

Es sind jedenfalls nicht nur die Lebensmittelunternehmen, die unsere Essgewohnheiten beeinflussen. Wer ein Kino betreibt, verdient mit dem Verkauf von Popcorn Geld, wer eine Buchhandlung besitzt, lockt Kundschaft mit dem Verkauf von Kaffee und Gebäck. Letztendlich bleibt es eine persönliche Entscheidung, Snacks zu konsumieren oder nicht. Gewohnheiten müssen jedoch zunächst bewusst durchbrochen und verändert werden.

Und wie ist das zu schaffen? Pfannkuchen zum Nachtisch oder ein paar Nüsse als Appetithappen vor dem Essen sind erlaubt. Es geht ja einfach darum, das Essen auf die Hauptmahlzeiten zu beschränken, um zu sehen, wie es sich anfühlt und wie lange man es durchhält. Möglicherweise stellt man fest, weniger Extras zwischendurch zu brauchen als gedacht.

Snacks sind nicht per se böse, aber gefährlich

Abschließend ist auch noch erwähnenswert, dass nicht alle Ernährungswissenschaftler Snacks uneingeschränkt verteufeln. "Einige Menschen können sie auch durchaus gut vertragen", betont Ernährungstherapeut Dr. Ian Marber. "Nämlich diejenigen, die Eiweiß, Kohlenhydrate und Fett viel schneller verarbeiten als andere." Diese Leute merken es dann eben auch nicht direkt auf der Waage.

Den Begriff "gesunder Snack" möchte Marber dann aber doch nicht einfach so stehen lassen. "Rezepte für gesündere Snacks enthalten oft zwar natürliche und unverarbeitete Zutaten, aber die Portionen sind riesig, weil dann trotzdem noch die Selbstregulation fehlt. Snacken ist verzichtbar. Oft ist es eben nur eine Gewohnheit." Ja, Naschen, ohne es als solches wirklich zu registrieren, ist zur Gewohnheit geworden. Aber sicherlich ist schon das Registrieren dieser schlechten Gewohnheit der erste Schritt zu einer besseren Ernährungsweise.

Snacks sind weitverbreitet und werden immer mehr. Aber die beste Lösung für eine ausgeglichene Ernährung sind sie nicht. Wenn du ausgewogen und regelmäßig isst und genug trinkst, kannst du gut ohne Knabbern auskommen.