Nüchtern laufen: Das bringt Training auf leeren Magen

Vorteile von Nüchterntraining
Hilft Laufen auf leeren Magen beim Abnehmen?

Veröffentlicht am 07.01.2025
Frau läuft in den Sonnenuntergang hinein
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Früh am Morgen eine Runde joggen – und das, ohne vorher etwas zu essen? Klingt nach einer echten Herausforderung, doch es gibt nicht wenige, die genau das tun. Oft steckt dahinter reiner Pragmatismus: Es bleibt keine Zeit, um ein sättigendes Frühstück zu essen und es anschließend noch in Ruhe verdauen zu lassen. Andere verfolgen jedoch einen bewussten Ansatz: Sie glauben, dass das Training mit leerem Magen den Körper dazu bringt, Fettreserven als Energiequelle zu nutzen. Das soll angeblich die Ausdauer steigern und beim Abnehmen helfen.

Aber wie fundiert ist diese Theorie wirklich? Die Forschung wirft zunehmend Zweifel auf. Jüngste Studien zeigen, dass der Verzicht auf ein Frühstück vor dem Training weniger Vorteile hat, als oft behauptet wird. Eine aktuelle Untersuchung ergab, dass Motivation und Energie vor dem Sport bei Personen, die auf nüchternen Magen trainierten, niedriger waren. Sie hatten weniger Freude an der Bewegung und waren auch weniger leistungsfähig als Teilnehmer, die vor dem Training etwas gegessen hatten.

Diese Ergebnisse sind nicht neu: Wissenschaftler hinterfragen die gängige Annahme, dass Training auf nüchternen Magen effektiver sei, bereits seit Längerem. Wir haben alle wichtigen Fakten für dich zusammengetragen, um dir eine fundierte Grundlage für deine Entscheidung zu geben.

Was heißt überhaupt "nüchtern laufen"?

Aber klären wir erst einmal einige Begrifflichkeiten. Mit "Nüchternlaufen" meinen wir, dass du vor dem Laufen nichts gegessen hast. Aber wie lange vorher? "Der metabolische Zustand, nachdem man etwas gegessen hat, wenn also der Körper damit beschäftigt ist, die aufgenommene Nahrung zu verstoffwechseln, hält in der Regel bis zu 4, manchmal aber auch bis zu 6 Stunden an – je nachdem, wie schnell der individuelle Stoffwechsel arbeitet und was man gegessen hat", erklärt Renee McGregor, führende US-Expertin für Sporternährung. So erfordern fett- oder ballaststoffreiche Speisen wie Vollkornprodukte, rotes Fleisch und Saaten eine längere Verdauungszeit als einfache Kohlenhydrate. Dennoch, wenn du morgens nach (im Idealfall) 8 Stunden Schlaf aufwachst, bist du für gewöhnlich im gegenteiligen Zustand: nüchtern.

"Was man am Abend vorher gegessen hat, hat immer Einfluss darauf, wie viel Energie man hat. Aber es steht dem Körper nicht mehr unmittelbar als Energiequelle zur Verfügung, weil er es bereits verdaut und in Energie umgewandelt hat", ergänzt McGregor und zerpflückt damit den Mythos, dass du mit einem Teller Pasta am Abend maximal mit Kohlenhydraten für den Lauf am nächsten Morgen versorgt bist. Das gilt auch für andere Tageszeiten als die Nacht: Wer seine erste Mahlzeit um 12 Uhr mittags zu sich nimmt und dann um 18 Uhr losläuft, tut das ebenfalls mit leerem Magen.

Was sind Vorteile, vor dem Training zu essen?

Aus wissenschaftlicher Sicht ist ziemlich eindeutig, dass es besser ist, vorher etwas zu essen, als auf nüchternen Magen zu laufen, wenn eine intensive Trainingseinheit ansteht. Es steht dir dann einfach mehr Energie zur Verfügung. "Wenn man Sport treibt und vorher etwas gegessen hat, nutzt der Körper die aufgenommenen Kalorien zur Energiebereitstellung", sagt die renommierte britische Sporternährungsexpertin Jenaed Brodell. "Das kann die Leistungsfähigkeit steigern, sodass man intensiver und länger trainieren kann. Aber es hilft auch im Anschluss bei der Muskelregeneration."

Zudem werden, wenn man gegessen hat, auch Gehirn und Nervensystem mit Nährstoffen versorgt, so McGregor. Dadurch fühlst du dich nicht nur wacher, sondern bist dadurch auch in der Lage, schnellere, bessere Entscheidungen zu treffen, was Sportlern einen entscheidenden Vorteil verschaffen kann.

Was sind die Vorteile des Nüchterntrainings?

Trotz der Kritikpunkte hat das Nüchterntraining durchaus seine Befürworter – und das nicht ohne Grund. Studien zeigen, dass es durchaus Vorteile mit sich bringen kann, auf leerem Magen zu trainieren. So fanden Forschungen heraus, dass diese Trainingsmethode die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) verbessern und den Stoffwechsel anregen kann.

Eine Studie der University of Bath ergab zudem, dass Sport vor dem Frühstück dazu beiträgt, den Blutzuckerspiegel besser zu stabilisieren. Eine weitere Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Nutrients, zeigte, dass bei Teilnehmern, die erst nach dem Krafttraining eine Mahlzeit zu sich nahmen, der Abbau von Muskelprotein geringer war als bei jenen, die vor dem Training gegessen hatten.

Warum es für Frauen besser sein kann, vor dem Sport zu essen

Die genannten Studien sind jedoch mit einer entscheidenden Einschränkung zu betrachten: Sie beziehen sich ausschließlich auf Männer – wie rund 97 Prozent aller sportwissenschaftlichen Untersuchungen. Frauen werden in dieser Art von Forschung bislang kaum berücksichtigt.

Die wenigen Studien, die den Einfluss des metabolischen Zustands auf das Training speziell bei Frauen untersucht haben, zeichnen hingegen ein anderes Bild. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Frauen anders auf Nüchterntraining reagieren könnten als Männer. Es lohnt sich also, bei diesem Thema genauer hinzusehen und die individuellen Unterschiede zu berücksichtigen.

Ein Beispiel: Für eine Untersuchung der University of Surrey und der St. George’s University liefen männliche und weibliche Probanden 30 Minuten mit 70 Prozent ihrer Maximalgeschwindigkeit auf dem Laufband. Dabei zeigte sich, dass die Männer davon profitierten, wenn sie mit dem Essen bis nach dem Training warteten. Die Frauen dagegen verbrannten sowohl während des Trainings als auch im weiteren Tagesverlauf mehr Fett, wenn sie vor dem Sport etwas gegessen hatten.

Welche Rolle der Zyklus spielt

Ein weiterer wichtiger Grund, warum Frauen vor dem Training etwas essen sollten, ist die hormonelle Gesundheit. McGregor erklärt, dass Frauen infolge des weiblichen Zyklus sensibler auf Stresshormone reagieren. Vor dem Training zu essen, könnte für sie also ein wichtiges Instrument zur Stressbekämpfung sein. "Morgens ist der Cortisolspiegel ohnehin erhöht. Kommt dann etwas hinzu, das einen Anstieg der Stresshormone bewirkt – wie zum Beispiel ein intensives Training –, steigt der Cortisolspiegel an und bleibt den Tag über erhöht." Indem sie vorher etwas essen, können sie den Cortisolspiegel während des Trainings und im gesamten Tagesverlauf senken.

Eine im Journal of Physical Therapy Science veröffentlichte Studie ergab, dass eine Zufuhr von 400 Kalorien vor einem Lauf auf dem Laufband den Cortisolspiegel nach dem Training im Vergleich zu Teilnehmerinnen, die nüchtern trainiert hatten, um 36 Prozent senkte. "Das ist ein sehr facettenreiches Thema", ergänzt McGregor. "Aber eine hinreichende Nährstoffversorgung ist ein wesentlicher Faktor für die Funktion des weiblichen Zyklus."

Wie das Nüchterntraining umgekehrt auf den Zyklus wirkt

Noch ein Thema, das beim Laufen auf nüchternen Magen eine Rolle spielt, sind die potenziellen Auswirkungen auf die Menstruation. Auch wenn ein einzelner Nüchternlauf den Zyklus kaum beeinflussen dürfte, könnte regelmäßiges Training auf leeren Magen dies durchaus tun. "Bei Frauen führt ein Mangel an Kohlenhydraten zu einer Verringerung der Produktion des Schilddrüsenhormons T3", erklärt McGregor. "In Verbindung mit dem überschüssigen Cortisol signalisiert dies dem Hypothalamus – dem Hormonzentrum im Gehirn –, dass der Körper sich in einem Stresszustand befindet. Das führt dazu, dass nicht lebenswichtige Systeme wie das Fortpflanzungssystem und damit auch der Menstruationszyklus herunterreguliert werden."

Übermäßiges Nüchterntraining führt zwar nicht zwangsläufig zu einem Ausbleiben der Regelblutung (Amenorrhö), doch es kommt öfter vor, als man denken könnte, und die Folgen sind gravierend. "Amenorrhö kann die Knochendichte verringern, die Gehirnfunktion beeinträchtigen, den Gleichgewichtssinn schwächen, zu einer Verschlechterung der sportlichen Leistung führen und den Zuwachs an Muskelmasse hemmen", warnt McGregor.

Wie laufen auf leeren Magen sogar das Abnehmen blockieren kann

Die Nahrungsaufnahme beeinflusst nicht nur den Cortisolspiegel. Eine in der Fachzeitschrift Plos One veröffentlichte Studie zeigt, dass Fasten die Produktion des Hormons Kisspeptin senkt. "Das ist ein Neuropeptid, welches für die Produktion von Sexualhormonen, für das endokrine System und die Fortpflanzungsfunktion verantwortlich ist", erklärt die Expertin für weibliche Physiologie, Stacy T. Sims. "Es spielt außerdem eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung eines gesunden Blutzuckerspiegels, der Appetitregulierung und der Körperzusammensetzung."

Eine Störung der Kisspeptin-Produktion beeinträchtigt die Freisetzung von Östrogen und Progesteron, den beiden wichtigsten weiblichen Fortpflanzungshormonen. "Frauen haben doppelt so viel Kisspeptin im Gehirn wie Männer. Das ist der Grund, warum sie sensibler auf Veränderungen ihres Energiehaushalts reagieren", erklärt Sims. "Der Energiehaushalt wird durch Kardiotraining im Fastenzustand gestört, da das Gehirn den Mangel an Nährstoffen registriert." Durch körperliche Betätigung verschärft sich das Hormonungleichgewicht noch, so Sims. Das ist ein Teufelskreis – mit einer ironischen Pointe: Ein durch eine geringe Schilddrüsenfunktion und viel Cortisol gestörter Stoffwechsel wird mit einer erhöhten Speicherung von Bauchfett und der Gefahr einer Gewichtszunahme in Verbindung gebracht, so Sims. Falls du also nüchtern trainierst, um Fett zu verbrennen, werden deine Bemühungen fruchtlos bleiben.

Studien zeigen, dass Essen vor dem Sport die Ausdauer steigert, insbesondere bei Trainingseinheiten, die länger dauern als eine Stunde. Aber es kommt auch auf die Intensität an, sagt Brodell. "Bei geringer Intensität ist es nicht so wichtig, dass man vorher etwas isst, da der Körper sich die Energie für die Aktivität dann auch aus seinen Fettreserven holen kann. Aber wenn man vor dem Sport die richtigen Nährstoffe zu sich nimmt, kann man mehr leisten und die Muskelregeneration im Anschluss ans Training ankurbeln."

Verursacht essen vor dem Sport Verdauungsprobleme?

Vor dem Laufen zu viel zu essen, kann zu unangenehmen Magen-Darm-Beschwerden führen. Der Grund: Während des Trainings leitet der Körper den Blutfluss vom Verdauungssystem weg, um die beanspruchten Muskeln mit Sauerstoff zu versorgen. Dadurch verlangsamt sich die Verdauung und die Nahrung bleibt länger im Magen und Darm, was zu Unwohlsein führen kann. Das bedeutet jedoch nicht, dass jede Nahrungsaufnahme vor dem Training zwangsläufig zu Problemen führen muss.

"Bei hoher Intensität sind Kohlenhydrate die primäre Energiequelle für den Körper. Daher ist es besonders wichtig, vor dem Training kohlenhydratreich zu essen", sagt Brodell. Dafür eignen sich vor allem simple Nahrungsmittel wie eine Banane, die schnell in Energie umgewandelt werden können.

Du bekommst vor dem Training einfach nichts runter? "Man kann seine Verdauung so trainieren, dass man in der Lage ist, morgens oder vor dem Sport Nahrung zu bewältigen", sagt McGregor. "Der Trick besteht darin, mit kleinen Portionen anzufangen und die Mengen allmählich zu steigern." McGregor empfiehlt eine Menge von 0,5 bis 1 Gramm Kohlenhydraten pro Kilo Körpergewicht bis zu 3 Stunden und spätestens 30 Minuten vor dem Sport. Um Muskelabbau vorzubeugen, empfiehlt Sims, dies um 15 Gramm Protein zu ergänzen. Das geht am besten mit fettarmen Proteinquellen wie Jogurt, Proteinpulver oder Sojamilch.

Wie das nüchterne Laufen dennoch Sinn ergibt

Du bist noch nicht bereit, die Idee des Nüchterntrainings komplett aufzugeben? Das musst du auch nicht. Es gibt keine festen Regeln, die vorschreiben, wann und wie du essen solltest, bevor du trainierst. Dein täglicher Kalorienbedarf, deine allgemeine Aktivität und sogar dein Stresslevel spielen eine entscheidende Rolle dabei, wie gut dein Körper ein Training ohne vorherige Mahlzeit verkraftet. Wichtig ist, dass du im Laufe des Tages genügend isst, um die Regeneration zu unterstützen. Solange du deinem Körper die Energie zuführst, die er benötigt, ist nichts gegen das Laufen auf nüchternen Magen einzuwenden, sagt McGregor, mahnt jedoch: "Man sollte versuchen, pro Woche nicht mehr als zwei Trainingseinheiten auf leeren Magen zu absolvieren, um nicht jeden Tag einen erhöhten Cortisolspiegel zu haben. Diese Einheiten sollten zudem kürzer sein als eine Stunde, und das Lauftempo sollte so langsam sein, dass man sich dabei unterhalten könnte."

Wenn du dich aber gestresst fühlst, übermüdet bist oder Hormonstörungen hast, dann lass das Nüchternlaufen lieber bleiben. Und falls du gleich nach dem Aufstehen ein intensives Training absolvieren möchtest, unterstützt ein kohlenhydratreicher Snack dein Leistungsvermögen und deine hormonelle Gesundheit. McGregor formuliert es so: "Ein gut genährter Körper ist ein gesunder Körper."

Fazit: Nüchtern laufen ist nicht immer und für jede Frau eine gute Idee

Manchmal ist das Nüchterntraining sogar kontraproduktiv. Wenn du nicht darauf verzichten möchtest, sieh zu, dass du nicht zu oft auf leeren Magen Sport treibst und finde deine Wohlfühl-Balance zwischen nüchtern und satt.

Erwähnte Quellen:

Edinburgh RM, Bradley HE, Abdullah NF et al. Lipid Metabolism Links Nutrient-Exercise Timing to Insulin Sensitivity in Men Classified as Overweight or Obese. J Clin Endocrinol Metab. 2020 Mar 1;105(3):660–76. doi: 10.1210/clinem/dgz104

Fuchs, A, Young H, Booth H, Armitage F, Collins, A. Investigation into gender differences in the effects of feeding around exercise on energy expenditure and substrate utilization. Proceedings of the Nutrition Society. 2011. 70. doi: 10.1017/S0029665111004654

Kim TW, Lee SH, Choi KH, Kim DH, Han TK. Comparison of the effects of acute exercise after overnight fasting and breakfast on energy substrate and hormone levels in obese men. J Phys Ther Sci. 2015 Jun;27(6):1929-32. doi: 10.1589/jpts.27.1929