Cortisol hat einen schlechten Ruf und wird oft als "Bösewicht" unter den Hormonen abgestempelt, da es mit zahlreichen unerwünschten Prozessen im Körper in Verbindung gebracht wird. Dabei wird jedoch häufig übersehen, dass dieses Stresshormon auch eine zentrale Rolle für unsere Gesundheit spielt.
Ob Gehirnfunktion, Gelenkgesundheit oder die Abwehrkräfte – Cortisol wirkt auf nahezu alle wichtigen Organsysteme ein. Es hilft dabei, den Stoffwechsel zu regulieren, unterstützt Insulin bei der Stabilisierung des Blutzuckerspiegels und bekämpft Entzündungen im Körper als Teil des Immunsystems. Dieses Hormon hat also deutlich mehr zu bieten, als sein Ruf vermuten lässt. Wir verraten dir, wie du diese Eigenschaften gezielt für dich nutzen kannst.
Ein (gesundes) Auf und Ab des Cortisolspiegels
Schlafprobleme, Konzentrationsmangel, innere Unruhe, Erschöpfung und sogar Hautprobleme – all das können Symptome von akutem Stress sein. Und oft spielt dabei das Stresshormon Cortisol eine zentrale Rolle. "Daher kommt es rund um die Funktionen dieses speziellen Hormons und bezüglich dessen, was als gesund und normal zu betrachten ist, immer wieder zu Missverständnissen", warnt Dr. Arti Thangudu, Spezialistin für Endokrinologie, Diabetes und Schilddrüse.
Tatsächlich schwankt der Cortisolspiegel im Laufe des Tages und passt sich dem natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus an. Am Morgen erreicht er seinen Höchststand, um den Blutzuckerspiegel und Blutdruck zu regulieren, die Aufmerksamkeit zu fördern und den Körper optimal auf den Start in den Tag vorzubereiten. "Nachts beim Schlafen fällt er wieder ab und erreicht seinen Tiefpunkt", erklärt Dr. Thangudu. Egal, ob du etwas isst, dich sportlich betätigst oder plötzlich mit einer stressigen Herausforderung konfrontiert wirst – wie etwa einem überraschenden neuen Projekt auf deinem Schreibtisch – dein Cortisolspiegel reagiert und lässt den Blutzuckerspiegel leicht ansteigen. Diese Schwankungen sind ganz natürlich und völlig unbedenklich.
Gesundheitliche Probleme treten erst dann auf, wenn das natürliche Muster des Cortisol-Haushalts durcheinandergebracht wird, beispielsweise wenn du ein paar Tage hintereinander die Nächte durchfeierst oder routinemäßig bis spätabends arbeitest. "Ein gestörter Rhythmus kann sich negativ auf Schlaf, Verdauung und Fettspeicherung auswirken", so Thangudu. Wenn du dir hingegen Cortisol-bewusste Gewohnheiten aneignest, wird dein Cortisolspiegel von selbst wieder ins Gleichgewicht kommen. Mach dich also bereit für mehr Energie, weniger Nervosität und die Tatsache, dass du zukünftig in jedem Aspekt deines Lebens entspannter sein kannst.
Indizien für einen gestörten Cortisolspiegel
Cortisol-Test-Kits für zu Hause liefern laut Ärzten oftmals falsche Ergebnisse. Halte dich an diese 3 kleinen Anzeichen, und du wirst von selbst merken, wenn dein Cortisolspiegel nicht passt:
Herzfrequenz
Wenn dein Puls fortwährend höher ist als gewöhnlich, ist etwas nicht in Ordnung. Durch einen Fitness-Tracker oder eine Smartwatch kannst du deinen Herzschlag ganz leicht überwachen.

Eine hohe Herzfrequenz könnte ein Indiz für einen gestörten Cortisolspiegel sein
Cholesterinwert
Cortisolspiegel und Leberfunktion hängen zusammen. Frag bezüglich des Cholesterinwerts am besten bei der nächsten Vorsorgeuntersuchung nach, insbesondere nach deinem LDL-Wert, und besprich mit dem Arzt oder deiner Ärztin die Ergebnisse.
Körperform
Sammelt sich um deine Körpermitte herum Fett an, obwohl dein Gewicht und auch deine Essgewohnheiten gleich geblieben sind, solltest du deinen Arzt darauf ansprechen. Dies könnte ein Zeichen für einen gestörten Cortisolspiegel sein.
Diese Cortisol-bewussten Gewohnheiten können dir helfen
Wenn du dein Leben in Bezug auf den Cortisolspiegel verbessern willst, musst du an ein paar deiner Alltagsgewohnheiten heran und vielleicht ein paar Dinge verändern. Das hier sind die wichtigsten Punkte.
1. Training
Sport und körperliche Aktivität können den Cortisolspiegel merklich ansteigen lassen. Daher ist es wichtig, sowohl die Art der Bewegung als auch den Zeitpunkt deines Trainings gezielt zu planen, um eine übermäßige Erhöhung des Stresshormons zu vermeiden.
- Schwitze zuerst: Plane dein Training zwischen 6 und 8 Uhr morgens, wenn dein Cortisolspiegel am höchsten ist. Geht nicht? Kein Problem. Dann vermeide zumindest ein Training kurz bevor du schlafen gehst. Denn es dauert etwa 4 Stunden, bis der Cortisolspiegel seinen niedrigsten Wert erreicht, der für den Schlaf optimal ist.
- Priorisiere Krafttraining: Tägliches, intensives Ausdauertraining erhöht den Cortisolspiegel – allerdings ohne großen Effekt auf den Muskelaufbau, denn es belastet die Muskeln nicht ausreichend, um die fettfreie Masse zu erhöhen. Besser ist es, ein paar HIIT-Tage durch klassisches Gewichtheben zu ersetzen. Das spricht verschiedene Muskelgruppen an und ist somit effektiver.
- Achte auf die Zeit: Ein anstrengendes Training, das bis zu einer Stunde dauert, belastet den Körper viel mehr als ein kurzes High-Intensity Training. Begrenze super-kräftige Einheiten auf maximal 20 Minuten und trainiere höchstens 2-mal pro Woche.
2. Erholung
Während der Erholungsphasen können sich die hormonproduzierenden Drüsen regenerieren und neu ausbalancieren – sei es nachts während des Schlafs oder entspannt auf der Couch nach einem effektiven Workout.
- Bringe Opfer: Wir wissen, dass du es weißt: 7 Stunden Schlaf – idealerweise 8 – pro Nacht sind empfehlenswert. Wenn du morgens trainieren willst, gehe am Abend entsprechend früher ins Bett, sodass du auf die benötigten Stunden kommst. Ein gesunder und langer Schlaf ist wichtiger als ein frühmorgendliches Training.
- Gehe spazieren: Viele Menschen unterschätzen (und belächeln) die Vorteile eines 30- oder 45-minütigen Spaziergangs und der 10 000 Schritte pro Tag, die man machen soll. Zu Unrecht, denn regelmäßiges Spazierengehen ist eine der besten Maßnahmen zur Stabilisierung des Cortisolspiegels – und das, obwohl der Körper dabei nur wenig belastet wird.
- Bleibe für den Cool-down: Ein Anstieg des Cortisolspiegels während des Trainings ist nicht unbedingt schlecht, solange er im Anschluss wieder sinkt. Darum ist Regeneration so wichtig, zum Beispiel durch Yoga, Meditation oder spezielle Atemübungen.

Gewöhne dir regelmäßiges Spazierengehen an und dein Cortisolspiegel kommt von selbst wieder ins Gleichgewicht
3. Ernährung
Ein stabiler Blutzuckerspiegel ist eng mit einem ausgeglichenen Cortisolhaushalt verbunden. Iss nahrhafte Speisen! Sie garantieren dir tagsüber eine stetige Energieversorgung.
- Essen vor der Arbeit: Zwischen 16 und 17 Uhr ist der zweitgrößte Cortisolanstieg. Danach geht’s mit dem Cortisol stetig bergab. Falls du zum späten Essen neigst, weil du Überstunden machst, setze einen Alarm auf deinem Handy und versuche, eine Pause fürs Essen einzulegen, statt bis zum Feierabend zu warten.
- Tanke Kohlenhydrate: Nimm in den ersten 20 bis 30 Minuten nach einer schweißtreibenden Trainingseinheit Kohlenhydrate zu dir, um den Cortisolspiegel wieder zu senken. Greife am besten zu schnell verdaulichen Varianten. Kekse oder Schokolade sind in dem Fall sogar erlaubt, denn sie erhöhen den Blutzuckerspiegel, was die Cortisolproduktion verlangsamen lässt.
- Vorsicht mit Kaffee: Koffein steigert die Cortisolproduktion. Daher ist es keine gute Idee, morgens 4 oder 5 Tassen Kaffee zu trinken – damit treibst du deinen Cortisolspiegel extrem in die Höhe. 1 bis 2 Tassen pro Tag sind akzeptabel, nur bitte nicht mehr abends.
Wichtig beim Thema Cortisol: Nebennierenerschöpfung gibt es nicht
Die Nebennieren, kleine Hormondrüsen direkt oberhalb der Nieren, sind der Hauptproduktionsort von Cortisol. Im Internet kursiert häufig der Begriff "Nebennierenerschöpfung", eine angebliche Erkrankung, die Heilpraktiker mit Nahrungsergänzungsmitteln behandeln wollen. Dabei handelt es sich jedoch um eine unbelegte Theorie, die medizinisch nicht anerkannt ist und sogar Risiken bergen kann. Sprich: Das ist gefährlicher Unfug.
Echte Experten sind da denn auch ganz anderer Meinung: "Aus endokrinologischer Sicht gibt es keine Erschöpfung der Nebenniere und kein Nahrungsergänzungsmittel kann unterstützend wirken", erklärt Dr. Sibylle Gaissmaier, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie und Ärztliche Leiterin des Medicovers München MVZ. Beginnen wir zuerst mit den Fakten: Eine Erschöpfung der Nebenniere ohne eine weitere Erkrankung der Nebenniere ist aus medizinischer Sicht nicht bekannt. "Wir bewegen uns hier außerhalb des wissenschaftlich begründbaren Bereiches", betont Professor Martin Merkel, Ärztlicher Leiter des Endokrinologikums in Hamburg.
Diese "erfundene" Krankheit sollte jedoch nicht mit der Nebennierenrinden-Insuffizienz verwechselt werden. Diese kann entweder durch eine Autoimmunerkrankung entstehen – dann spricht man von Morbus Addison – oder durch den langfristigen Einsatz von Cortison, einem Wirkstoff, der Cortisol ähnelt. In solchen Fällen wird die Funktion der Nebennieren vorübergehend eingeschränkt, der Körper benötigt nach einer längeren Behandlung mit Cortison Zeit, um sich zu erholen. Neben Morbus Addison können auch Viruserkrankungen, wie etwa eine Covid-19-Infektion, die Funktion der Nebennieren beeinträchtigen. In solchen Fällen kann nach einer ärztlichen Diagnose eine gezielte Hormontherapie helfen.
Fazit: Ein Cortisolwert in Balance ist ein Gewinn fürs Leben
Ein natürlicher Wechsel des Cortisolspiegels ist völlig normal und wichtig für die Gesundheit – solange der Rhythmus im Gleichgewicht bleibt. Warnsignale für eine Störung können eine dauerhaft erhöhte Herzfrequenz, ungewöhnliche Cholesterinwerte oder Veränderungen der Körperform sein, obwohl Gewicht und Essgewohnheiten gleich bleiben. Um deinen Cortisolspiegel wieder zu stabilisieren, solltest du besonders auf ein ausgewogenes Verhältnis von Training, Erholung und einer bewussten Ernährung achten.